Berlin/Strassburg.

Manfred Weber führt die größte Fraktion im Europa-Parlament, die der Europäischen Volkspartei (EVP). Der Zusammenschluss konservativer und christdemokratischer Abgeordneter, dem sich auch CDU und CSU zuordnen, umfasst 215 Mitglieder. In der Diskussion über eine Neuordnung Europas nach dem Brexit-Referendum hat die Stimme Webers, der auch stellvertretender CSU-Vorsitzender ist, Gewicht.

Herr Weber, ist der Brexit unumkehrbar? Oder kann Großbritannien über kurz oder lang wieder in die EU eintreten?

Manfred Weber: Die Volksabstimmung hat ein ernüchterndes, aber eindeutiges Ergebnis. Die Botschaft ist klar: Großbritannien soll die Europäische Union verlassen – mit allem, was dazu gehört. Besonders bedrückt mich, dass die junge Generation mit sehr großer Mehrheit für einen Verbleib gestimmt hat. Das heißt für mich: Großbritannien muss nicht bis in alle Ewigkeit außerhalb der EU stehen. Jetzt aber haben wir einen klaren Bürgerwillen. Und der Respekt davor verlangt, dass die britische Regierung den Austrittsantrag so schnell als möglich stellt. Es braucht Klarheit, Unsicherheit ist das Letzte, was jetzt richtig ist.

Seit dem Referendum suchen die Europäer fieberhaft nach einem Plan B. Sind sie dabei auf einem guten Weg?

Ich rate zu Gelassenheit. Zunächst hat Großbritannien ein Problem und nicht Europa. Die Entwicklungen in Großbritannien machen große Sorge. Ein tiefer Spalt geht durch die Gesellschaft und die verschiedenen Landesteile. Die politische Elite dort hat in ihrer Führungsrolle versagt. Natürlich müssen sich die verbleibenden 27 Staaten rüsten . . .

. . . und zwar wie?

Unsere Botschaft ist klar: Wir stehen als Gemeinschaft zum Projekt Europa und halten zusammen. Gemeinsam wollen wir Europa reformieren und besser machen. Deshalb halte ich es auch für mehr als unglücklich, dass am Samstag nur die sozialdemokratischen Außenminister der sechs EU-Gründerstaaten zusammengekommen sind. Wir brauchen alle 27 Staaten an Bord und nicht einen exklusiven Klub. Dass Deutschland und Frankreich gemeinsam mit Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in den kommenden Monaten eine gewisse Führungsrolle übernehmen müssen, ist aber allein aus praktischen Gründen klar.

Wie kann verhindert werden, dass auf den Brexit ein Nexit oder Frexit folgen, also Niederländer oder Franzosen es den Briten gleichtun?

Dass der Brexit ein gravierender Einschnitt ist, steht außer Frage. Aber es gibt in praktisch allen anderen Staaten eine große Zustimmung zur Zusammenarbeit. Europa braucht jetzt eine Phase des Innehaltens und der Selbstreflexion. Wir müssen überlegen, was in Europa gut und schlecht läuft. Das erwarten die Bürger zu Recht. Es braucht Lösungen in der Sache. Zum Beispiel muss der Egoismus wie in der Flüchtlingspolitik aufhören. Zudem ist mehr Demokratie und mehr Parlamentarismus nötig. Dass die SPD-Spitze allerdings bereits am Freitag mit dem Ruf nach pauschal mehr Europa vorgeprescht ist, halte ich für aus der Hüfte geschossen und angesichts der Sorgen der Menschen für kontraproduktiv. Einfache und schnelle Antworten sind meist die falschen.