Peking.

Zumindest der Auftakt sollte harmonisch verlaufen. Kaum war Angela Merkel am Sonntag mit dem halben Bundeskabinett in Peking gelandet, ging es gleich zur renommierten Chinesischen Akademie der Wissenschaften im Stadtzentrum von Peking. Die Universität Nanjing wollte ihr die Ehrendoktorwürde verleihen. Die Ehre nahm die Kanzlerin dankbar an. Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, schon gleich zu Beginn ihrer insgesamt zweieinhalbtägigen China-Reise die unangenehmen Themen anzusprechen. Und davon gibt es dieses Mal im Rahmen der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen eine Menge.

„Kein Mensch hat Interesse an vergrößerten Handelskriegen“, betonte die Kanzlerin, kurz nachdem ihr der Doktorhut aufgesetzt wurde. Das bedeute allerdings auch, dass über die bestehenden Probleme offen geredet werden müsse. Unverhohlen sprach sie Chinas Überproduktion an. „Das ist ein großes Problem für europäische Stahlhersteller.“ Darüber und über einige andere Branchen müsse mit China verhandelt werden.

Aber auch die aus Sicht der chinesischen Führung unangenehmen Themen wie Menschenrechte und fehlende Rechtssicherheit sprach die Kanzlerin unverhohlen an. „Kern aller Rechtsstaatlichkeit ist, dass die Stärke des Rechts gilt und nicht das Recht des Stärkeren“, mahnte Merkel an. Recht dürfe nicht als Werkzeug der Macht benutzt werden, sondern müsse unabhängig von der Politik für alle gleich gelten. Und auch am Montag betonte sie im Anschluss ihrer Gespräche mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang, wie wichtig es für sie sei, „dass Unternehmen und Projekte ein sicheres Rechtsumfeld haben“.

Die Auftritte der Kanzlerin in China zeigen: Es knirscht in den Beziehungen. Und zwar ganz gewaltig. Dabei hatte Merkel beim letzten China-Besuch vor knapp neun Monaten noch den Eindruck vermittelt, nichts könnte das Verhältnis zwischen Berlin und Peking ernsthaft trüben. Streitpunkte etwa bei Fragen des geistigen Eigentums wusste die Kanzlerin ebenso offen anzusprechen, wie Chinas anhaltende Menschenrechtsverletzungen oder dessen zunehmend aggressive Außenpolitik im Südchinesischen Meer.

Der Groll blieb bei der chinesischen Seite aus. Denn die Kanzlerin genießt bei der chinesischen Führung einen Vertrauensvorschuss. Peking schätzt an ihr, dass sie, anders als etwa ihre Amtskollegen aus Frankreich und Großbritannien, verlässlich und wenig sprunghaft ist. Böse Überraschungen bleiben mit Merkel aus. Doch im Konflikt um die Frage, ob China den Status als Marktwirtschaft verdient hat, ist es zuletzt auch mit Deutschland zu erheblichen Verstimmungen gekommen. „Es kann keinen Marktwirtschaftsstatus für China geben, wenn sich China nicht an die Regeln der Marktwirtschaft hält“, wetterte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der dieser Reise nun fern blieb. Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua drohte daraufhin mit einem „Handelskrieg“, sollte sich Merkel in Brüssel nicht ausreichend für China einsetzen.

Für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt geht es bei dieser Frage um mehr als nur Prestige. Sie verbindet damit Handelserleichterungen für ihre angeschlagene Exportindustrie. 2001 war China der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten. Damals wurde China noch nicht als Marktwirtschaft eingestuft – ein Status, der es den Industrieländern erlaubte, chinesische Importgüter mit Anti-Dumping-Schutzzöllen zu belegen.

Die chinesische Führung war bis vor Kurzem selbstverständlich davon ausgegangen, dass ihrem Land bis Ende dieses Jahres der Marktwirtschaftsstatus eingeräumt wird. Schließlich haben die Europäer auch Russland inzwischen diesen Status erteilt. Die Industrieländer hatten das vor 15 Jahren den Chinesen in Aussicht gestellt in der Annahme, dass China seine Märkte rasch öffnen würde. So war das in den ersten Jahren auch. Doch vor allem seit der Amtsübernahme durch Xi Jinping 2013 schottet China seine Märkte wieder verstärkt ab. Ausländische Investoren unterliegen weiter dem Zwang, mit chinesischen Firmen zu kooperieren. Chinesische Firmen hingegen sind eifrig weltweit auf Einkaufstour. Derzeit häufen sich zudem die Klagen, dass Chinas Unternehmen mit einer massiven Überproduktion vor allem von Stahl, Aluminium und Solarpanelen die Weltmärkte überschwemmen und mit Dumpingpreisen ausländische Konkurrenten aus dem Markt drängen.

Japan und die USA haben bereits angekündigt, dass sie China den Marktwirtschaftsstatus nicht erteilen werden. Auch das EU-Parlament hat sich dagegen ausgesprochen. Die EU-Kommission will bis Ende des Jahres entscheiden. Die Chancen stehen nicht gut für Peking.

Umso heftiger versucht die chinesische Führung, die Kanzlerin unter Druck zu setzen. Denn Peking weiß, wie wichtig China für die deutsche Industrie inzwischen ist. „Ich bin der Überzeugung, dass das gelingen kann auf der Ebene dessen, was wir vor 15 Jahren zugesagt haben“, versprach Merkel auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Premier Li. Sie werde mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker darüber sprechen. Doch Li gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und geißelte die EU als „unzuverlässig“, und wandte sich sichtlich zerknirscht von der Kanzlerin ab.