Madrid/Berlin. Vor den Wahlen in Spanien wird das Linksbündnis, das den EU-Sparkurs ablehnt, zur dominierenden Kraft

Was in Spanien derzeit passiert, ist für manche ein Déjà-vu – alles schon mal da gewesen. Da drückt eine hoch verschuldete Regierung auf Geheiß der EU einen rigorosen Sparkurs durch. Weniger Staatsausgaben bedeuten weniger öffentliche Aufträge, weniger soziale Leistungen und führen zunächst zu einer deutlich höheren Arbeitslosigkeit. Daraufhin positioniert sich am linken Rand eine Protestbewegung, die immer stärker wird und – vielleicht – irgendwann in der Regierung sitzt. „Weg mit den Sparvorgaben!“, lautet dann die Kampfparole gegen die internationalen Gläubiger.

So ist es in Griechenland abgelaufen. So könnte es bald in Spanien aussehen, wo am 26. Juni ein neues Parlament gewählt wird. Drohen dem Land auf der Iberischen Halbinsel griechische Verhältnisse? Immerhin musste die spanische Bankenbranche, die heftig in die Immobilienkrise verstrickt war, 2012 mit 41 Milliarden Euro von den Europäern gerettet werden.

Zumindest in den letzten Meinungsumfragen hat das Linksbündnis Unidos Podemos (auf Deutsch: „Gemeinsam können wir es schaffen“) mächtig aufgeholt. Die rebellische Allianz, die mit der griechischen Linkspartei Syriza sympathisiert, liegt knapp hinter der konservativen Volkspartei Partido Popular (PP). Unidos Podemos hat dem politischen Establishment in Spanien wie in Europa den Kampf angesagt.

Spanische Medien sprechen bereits von einem Tsunami, der die politische Landschaft derzeit überrollt. Eine Flutwelle, in der die traditionsreichen und sozialdemokratisch orientierten Sozialisten (PSOE) untergehen könnten. Die PSOE ist historisch der große Gegenspieler der Konservativen. Sie war bisher stolz darauf, die linke Opposition anzuführen. Das Politbeben könnte die Konservativen, die seit Ende 2011 im Königreich regieren, von der Macht vertreiben.

In den Erhebungen des staatlichen Umfrageinstituts CIS legte das Linksbündnis Unidos Podemos zuletzt kräftig zu. Es liegt inzwischen mit 25,6 Prozent an zweiter Stelle – bei steigender Tendenz. Der Abstand zur konservativen PP des geschäftsführenden Regierungschefs Mariano Rajoy wird immer kleiner. Sollte sich dieser Trend bestätigen, wird es einen kräftigen Linksruck in Spanien geben. Im Gegensatz zu Griechenland ist Spanien kein ökonomisches Leichtgewicht. Es handelt sich um die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone.

Was dies für die künftige Regierungsbildung bedeutet, bleibt abzuwarten. Denn es zeichnen sich in der Neuwahl am 26. Juni keine klaren Machtverhältnisse ab. Bereits die erste Wahlrunde im Dezember hatte kein eindeutiges Ergebnis gebracht. Dies deutet auf zähe Koalitionsverhandlungen hin, bei denen das Linksbündnis eine Schlüsselrolle spielen könnte. An der Spitze von Unidos Podemos steht der charismatische Politologe Pablo Iglesias, der seinen Pferdeschwanz zum Markenzeichen gemacht hat. Er träumt bereits davon, Spaniens neuer Regierungschef zu werden.

Um seinem Image als Bürgerschreck entgegenzuwirken, bindet er sich neuerdings eine Krawatte um den Hemdkragen. Nachdem er zunächst vor allem die frustrierte junge Generation elektrisiert hatte, will er nun mit einem etwas seriöseren Look die Älteren für sich einnehmen.

Seine Gegner betrachten dies als Masche. Iglesias, der sich früher als Kommunist bezeichnete hatte und nun als „neuer Sozialdemokrat“ auftritt, sei ein „Wolf im Schafspelz“, spotten sie. Entsprechend schießt die politische Konkurrenz scharf gegen den 37-Jährigen, der erst vor zweieinhalb Jahren die aus den Straßenprotesten erwachsene Partei Podemos (auf Deutsch: „Wir können“) gründete. Eine Bewegung der „Empörten“, die nun in der Wahl am 26. Juni zusammen mit der kleinen antikapitalistischen Partei Izquierda Unida (auf Deutsch: „Vereinigte Linke“) das Linksbündnis Unidos Podemos formt.

Sozialen Sprengstoff für Iglesias’ Linksallianz der Unzufriedenen gibt es genug: Die Arbeitslosigkeit liegt in Spanien trotz leichter Besserung immer noch bei 20 Prozent. Bei den unter 25-Jährigen ist nahezu jeder Zweite ohne Job. 29 Prozent der Menschen gelten als arm oder sind von sozialer Ausgrenzung bedroht. Nicht einmal Arbeit garantiert ein sorgenloses Auskommen: Jeder zweite Beschäftigte verdient weniger als 1000 Euro. Eine ähnliche Konstellation wie in Griechenland.

Im Ausland wächst die Sorge. So hatte Pablo Iglesias in der Vergangenheit Botschaften nach Brüssel und Berlin geschickt, die dort alle Alarmglocken schrillen ließen. „Wir müssen eines ganz klar in Europa sagen: Wir wollen weder eine Kolonie Deutschlands noch eine Kolonie der europäischen Troika sein“, lautete der Protestruf. Iglesias sagte der von der EU-Kommission durchgesetzten Spar- und Reformpolitik den Kampf an. Doch trotz massiver Kürzungen der öffentlichen Ausgaben gehört Spanien auch heute noch zusammen mit Griechenland und Portugal zu den größten Schuldensündern der Eurozone. „Die Austerität ist ein Irrtum und für menschliche Tragödien verantwortlich“, wetterte Iglesias, als er im Sommer 2014 Abgeordneter im EU-Parlament wurde.

Der spanische Linkschef pries Alexis Tsipras als Vorbild

Ähnliche Töne kennt man von Alexis Tsipras, dem griechischen Syriza-Chef und Ministerpräsidenten. Iglesias hatte ihn im vergangenen Jahr als leuchtendes Beispiel gepriesen. Nach der Wiederwahl von Tsipras im September 2015 wünschte Iglesias dem griechischen „Amigo“ viel Erfolg beim Kampf gegen den „Finanzterrorismus“ und gegen die „finanziellen Mächte“, wie er die Gläubiger nannte.

Neuerdings möchte Iglesias aber nicht mehr an seine öffentliche Verbrüderung mit Tsipras erinnert werden. Vielleicht, weil sich Tspiras mittlerweile den EU-Zwängen beugen musste, um sein Land mit dem inzwischen dritten internationalen Rettungsprogramm vor der Pleite zu bewahren.