Berlin. Die SPD will mit einem schärferen linken Profil aus der Krise kommen. Wichtigen Fragen weicht sie aber noch aus

    SPD-Chef Sigmar Gabriel war guter Dinge. Oben im vierten Stock des Willy-Brandt-Hauses war die erste Hälfte des Parteikonvents überraschend friedlich verlaufen, auch hinter verschlossenen Türen gab es trotz des SPD-Umfragetiefs und heftiger Wahlschlappen kaum Kritik am Vorsitzenden. „Jeder weiß um die schwierige Lage der SPD“, fasste Gabriel die Stimmung zusammen, „aber Rumjammern machen wir nicht.“

    Stattdessen ging der Parteivorsitzende vor Journalisten in die Offensive – und zeigte mit Angriffen auf die Union, wie er die Genossen wieder zu neuer Stärke führen will: „Das Zerwürfnis von CDU und CSU ist eine ernsthafte Belastung für die Koalition“, schimpfte Gabriel. „Von der Flüchtlingspolitik bis zur Entgeltgleichheit – bei keinem wichtigen Thema kommen wir schnell voran.“

    Die SPD sei das „Schwarze-Peter-Spiel“ leid, CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer müssten endlich Klarheit schaffen. Dass die Union etwa das von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorgelegte Gesetz gegen Lohnungleichheit von Männern und Frauen blockiere, werde die SPD nicht hinnehmen. „Das Thema Gleichheit ist ein ursozialdemokratisches Thema“, meinte der Vorsitzende.

    Einen „stärkeren Zuspitzungsmodus“ nennen sie das in Gabriels Umfeld, es ist erst der Anfang: In nichtöffentlicher Sitzung machte Gabriel vor den rund 230 Delegierten des kleinen Parteitags klar, dass die SPD den Ton in der Koalition dauerhaft verschärfen wird: Wofür die SPD stehe und wofür sie gewählt werden wolle, „muss als neue Stimmung spürbar sein“. Es müsse auch in der Koalition zunehmend stärker erkennbar sein, was die SPD wolle – „Koalition hin oder her.“ Führungsleute der SPD-Linken werden noch deutlicher: „Eine Neuauflage der GroKo wollen wir nicht“, sagte Parteivize Ralf Stegner. „Unser Hauptgegner ist die Union.“

    Die schärfere Attacke ist Teil jener Strategie, mit der die SPD-Führung auf das anhaltende Tief reagiert: Schon die 25 Prozent bei der letzten Bundestagswahl galten als Tiefpunkt, jetzt pendelt die SPD bei den Demoskopen mal über, mal unter der 20-Prozent-Marke. Die Lage gilt als ernst: „Es hat sich eine Negativspirale eingespielt“, heißt es unter Hinweis auf die eigene Meinungsforschung der SPD-Zentrale. „Uns werden keine Erfolge mehr zugetraut, obwohl es viele Wähler gibt, die sich eigentlich eine stärkere SPD wünschen.“

    Gabriel setzt deshalb seit Kurzem auf härtere Töne, die die Partei deutlich nach links rücken. Die SPD brauche einen „radikaleren Ansatz“, hat er gerade erst in der „Zeit“ erklärt. Inhaltlich setzt die SPD jetzt mit größerer Lautstärke auf soziale Themen, auch um sich von der Union abzugrenzen. In einem vom Konvent beschlossenen Antrag zum „Solidarprojekt“ werden massive Investitionen in Kitas oder Schulen gefordert und die Einführung der in der Koalition grundsätzlich vereinbarten, aber umstrittenen Mindestrente für langjährig Versicherte.

    Und: Das Steuersystem soll gerechter werden, kleine und mittlere Einkommen sollten entlastet, Kapitalerträge wieder höher besteuert werden. Beschlossen wurden auch Forderungskataloge zu den Themen innere Sicherheit, Bildung und Wohnen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) forderte, noch in diesem Jahr die Mietpreisbremse zu verschärfen. Brisanter ist, was Gabriel hinter verschlossenen Türen ankündigte: „Die SPD wird im Wahlkampf auch die Verteilungsfrage stellen.“ Mit der SPD sollten die Menschen wieder mehr Anteil am Wohlstand haben. „Die Ungleichheit bei Löhnen, Vermögen, Bildungs- und Aufstiegschancen ist in Deutschland derart groß, dass die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des Landes gefährdet wird.“ Das sind neue Töne von Gabriel, der noch beim Parteitag im Dezember 2015 erklärt hatte, ein gutes Wirtschaftswachstum bringe mehr als höhere Steuersätze.

    Gabriel versicherte zwar, es handele sich nicht um einen Strategiewechsel angesichts mieser Umfragen: „Links heißt nicht, auf die Mitte zu verzichten. Die Mitte ist auch der Ort zwischen unten und oben.“ Doch die Kursänderung ist offenkundig, in der Partei werden die Ansagen als Bewegung nach links verstanden – und überwiegend auch begrüßt, wenngleich bei Parteirechten schon vor einem „Retro-Kurs“ des Parteichefs gewarnt wird.

    Für seine halbstündige Rede erhielt Gabriel ordentlichen Applaus. Die Ansagen genügten auch, um Kritiker aus dem linken Flügel zu besänftigen. Die hatten im Vorfeld beklagt, die jetzt verstärkt vorgetragenen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit würden gar nicht ausreichend inhaltlich unterfüttert.

    Tatsächlich klammerte der Konvent strittige Debatten, etwa zur Steuer- und Rentenpolitik, völlig aus. Was die Entlastung von Arbeitnehmern konkret bedeuten soll, blieb nicht nur offen, sondern wird schon jetzt in der Parteispitze völlig unterschiedlich interpretiert: Dem Eindruck, geplant sei die Absenkung der Steuerlast, wird teilweise scharf widersprochen – eher sei eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen denkbar, heißt es. Auch um die Frage, ob und wie das weitere Absinken des gesetzlichen Rentenniveaus verhindert werden soll, drückt sich die Partei vorerst herum. Gabriel hat schon eine umfassende Korrektur früherer Rentenkürzungsreformen gefordert, ob das zur Parteilinie wird, ist ungeklärt.

    Antworten soll erst das Wahlprogramm geben, das ein Bundesparteitag verabschieden wird – im Frühjahr des kommenden Jahres.