Berlin.

Terroralarm gibt es immer wieder. Wie am Fußballstadion in Hannover. Oder am Hauptbahnhof in München. Selten ist die Terrorgefahr jedoch so real, so klar und steht so zweifelsfrei fest wie an diesem Donnerstag: Die Sicherheitsbehörden nehmen eine Gruppe hoch und verhaften drei Männer: einen im baden-württembergischen Leimen, einen in Wriezen (Brandenburg) und einen in Mülheim an der Ruhr. Ein vierter Verdächtiger sitzt in Frankreich längst im Gefängnis. Die vier Männer sollen im Auftrag des Terrornetzwerkes „Islamischer Staat“ (IS) einen Terroranschlag in Düsseldorf geplant haben.

„Wir haben die Richtigen im Visier“, ist der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger sicher. Sein Land ist an diesem Tag gleich zweimal Schauplatz von Zugriffen. Neben dem Terrorverdächtigen von Mülheim waren – in einem anderen Fall – noch zwei Männer in Herne festgenommen worden. Auch sie stehen unter Terrorverdacht. Hinter ihnen wird ebenfalls der IS vermutet. Die Beweislage ist aber, anders als in Mülheim, dünn. Die Männer werden wieder freigelassen. Beide Fälle muss man trennen. Gemeinsam haben sie nur den Zeitpunkt und den IS-Hintergrund.

Die Heinrich-Heine-Allee sollte der Schauplatz des Anschlages werden

Die Festnahmen und Durchsuchungen in Mülheim, Wriezen und Leimen erhärten den Verdacht, dass ein Killerkommando des IS unterwegs war. Es ist kein Zugriff in letzter Minute. Offiziell wird beteuert, es lägen keine Hinweise vor, „dass die Beschuldigten bereits mit der Umsetzung ihres Anschlagsplanes konkret begonnen hatten“. Sprengstoff und Waffen waren noch nicht beschafft.

Und doch ist Gefahr in Verzug – zu detailliert, zu fortgeschritten sind die Planungen. Es ist der vielleicht belastbarste Beleg dafür, dass Deutschland im Fadenkreuz der Terroristen ist. Es hat für den IS einen Wert an sich, auch hierzulande Angst und Schrecken zu verbreiten, so wie in London, wie in Madrid, wie in Brüssel oder Paris.

Die mörderischen Pläne belegen, wie gefährlich der IS ist. Vorgesehen war, dass zwei Attentäter sich in Düsseldorf in der Heinrich-Heine-Allee in die Luft sprengen. Sie ist eine der großen, stark frequentierten Verkehrsadern der Landeshauptstadt, die gleichnamige U-Bahn-Station ist ein Umsteigepunkt vor der beliebten Altstadt. Das verspricht: viele potenzielle Opfer, maximales Chaos. Die Panik sollten sich weitere Terroristen zunutze machen und auf Passanten schießen. Ein Drehbuch des Schreckens.

Der Zugriff zeigt allerdings auch, wie entschlossen die Sicherheitsbehörden handeln. In Karlsruhe erlässt Generalbundesanwalt Peter Frank Haftbefehl gegen die drei Syrer. Sie sind 25, 27 und 31 Jahre alt und werden in Brandenburg, Baden-Württemberg und NRW festgenommen. Wo genau, verraten die Behörden zunächst nicht, es spricht sich aber herum. So wie in Mülheim, wo der Terrorverdächtige vor dem Rathaus steht, als das Sondereinsatzkommando der Polizei ihn verhaftet.

In Karlsruhe ist sich Generalbundesanwalt Frank bewusst, dass der Zeitpunkt sensibel ist. Die Fußball-Europameisterschaft steht vor der Tür. Die Verunsicherung ist groß. In der Erklärung seiner Behörde betont Frank, „die heutigen Festnahmen stehen nicht im Zusammenhang mit der bevorstehenden Fußball-Europameisterschaft in Frankreich.“ Juristisch lautet der Vorwurf gegen die Männer „Verabredung zu einem Verbrechen“ und „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“.

Der Tipp für die Festnahmen kommt aus Frankreich. Die deutschen Ermittler reisen extra ins Nachbarland, um den Verdächtigen Saleh A. zu vernehmen. Schon bald haben sie keinen Zweifel: Man muss den Mann ernst nehmen. Seit Ende Januar, Anfang Fe­bruar ist die Polizei in Düsseldorf gewarnt und hoch alarmiert – Karneval steht vor der Tür.

Nach dem Anschlag in Brüssel hatte sich der 25-jährige Syrer nach Frankreich abgesetzt und sich dort den Behörden gestellt. In der Untersuchungshaft packt A. aus und berichtet detailliert über die Terrorzelle in Deutschland. Der geplante Anschlag ist kein spontanes Unternehmen, auch kein Werk von selbst radikalisierten Jugendlichen. Hier sind, so viel ist klar, kriminelle Profis am Werk: Der Anschlag war nach ersten Erkenntnissen von langer Hand geplant worden.

Rückblick: Bereits im Frühjahr 2014 ergeht an Saleh A. und seinen Kumpel Hamza C. (27) laut Generalbundesanwalt der Auftrag zum Töten vom „Islamischen Staat Irak und Großsyrien“, wie sich das Terrornetzwerk nennt. Auch Tatort und Vorgehensweise stehen längst fest. Noch im selben Jahr reisen die zwei Männer von Syrien weiter in die Türkei. Von dort sollen sie sich nach Deutschland durchschlagen – und zwar getrennt. Das ist erstens unauffälliger und minimiert zweitens das Risiko für das gesamte Unternehmen. Wenn einer auffliegt, kann der andere weitermachen. Von der Türkei geht es im März und im Juli 2015 über Griechenland und via Balkanroute nach Deutschland. Es ist der Sommer der Flüchtlingskrise, im Treck der Verzweifelten fallen die Männer nicht auf, sie schwimmen wie Fische im Strom mit.

Zwei Landsleute stoßen in Deutschland dazu. Mahood B. (25) können sie als Kumpanen gewinnen. Den vierten Mann, Abd Arahman, hatte der IS als Vorauskommando im Oktober 2014 nach Deutschland entsandt. Er ist mit 31 Jahren der Älteste der Gruppe. 2013 stand er in Syrien im Dienst der ausländischen Terrorgruppe „Jabhat al-Nusra“. Ein Profi. Im Bürgerkrieg lernte er, Sprenggürtel und Granaten zu basteln. Jetzt soll der Sprengstoffexperte für die Gruppe die Bomben basteln, die Saleh A. und Hamza C. auf der Heinrich-Heine-Allee zünden sollen. Die Rolle von Mahood B. ist unklar. Es liegt der Verdacht nahe, dass er und Abd Arahman in einer zweiten Angriffswelle auf die Menschen schießen sollten.

Unabhängig von dieser Terrorzelle schlägt ein SEK-Kommando am Morgen in Herne zu und nimmt zwei Syrer fest. Laut Staatsanwaltschaft Bochum wollten sie zum Jahreswechsel einen Sprengstoffanschlag in Berlin verüben. Der Fall war vor Monaten in den Medien. Polizisten sprengen eine Wohnung auf. Sprengstoff oder Waffen finden sie nicht, nur Datenträger und Handys, die nun ausgewertet werden. Ermittlungsroutine in Deutschland.

Die internationale Kooperation klappt offenbar gut

Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums in Berlin sagt wie stets: Die Gefährdungslage sei „unverändert“ hoch. Deutschland befinde sich „ebenso wie andere europäische Staaten im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus“.

Solchen Zugriffen wie gestern gehe in der Regel eine lange, zumeist personalintensive Beobachtung der terroristischen Szene voraus, analysiert der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow. Das Aufspüren der mutmaßlichen Attentäter mit Unterstützung ausländischer Sicherheitsbehörden zeige, dass die internationale Zusammenarbeit bei der Verhinderung von Terroranschlägen auf hohem Niveau funktioniere, so der GdP-Mann. „Angesichts von Aktivitäten einer Terrorzelle mit offenbar klarem Auftrag, todbringende Anschläge zu begehen“, sagt Malchow, könne aber von einer abstrakten Terrorgefahr „längst nicht mehr die Rede sein“.