Hiroshima.

Es ist ein Bild, das um die Welt geht. 71 Jahre nachdem eine amerikanische Atombombe Hiroshima in Schutt und Asche gelegt hatte, besucht US-Präsident Barack Obama die japanische Stadt. Er hält eine Rede im Friedenspark – am Ort der damaligen Katastrophe. Nach 20 Minuten geht er zur Reihe mit den Überlebenden ins Publikum. Er begrüßt Shigeaki Mori, schüttelt ihm die Hand. Auf einmal bricht der Mann im hellblauen Sakko in Tränen aus. Der US-Präsident umarmt ihn schweigend. Mori schmiegt sich an den Gast aus Washington. Die Besucher halten den Atem an, werden gepackt vom Schmerz und von der Trauer, die auf einmal aufbrechen.

Shigeaki Mori wurde von derBrücke geschleudert – sein Glück

Der heute 79 Jahre alte Mori ging am 6. August 1945 zum Unterricht, während der Sommerferien. Um 8.16 Uhr überquerte der achtjährige Junge eine Brücke. Im Nachhinein war das ein Glücksfall. „Ich wurde von der Brücke geschleudert und fiel in den Fluss“, sagt er. Während er im Wasser überlebte, musste er mitansehen, wie zwei weitere Passanten auf der Brücke mit verbrannter Haut Todesqualen erlitten. Mori flüchtete zu seiner Grundschule. „Diese Nacht war die Hölle“, erinnert er sich. „Viele Menschen schrien in ihrem Todeskampf.“

Auch Sunao Tsuboi gehört zu den Überlebenden. Er hatte als damals 20-Jähriger den Atombombenabwurf nur knapp und mit schweren Verletzungen überlebt. „Obama hat das Herz, mit anderen mitzufühlen“, sagt er. „Als er so herzlich mit mir sprach, hat er meine Hände immer mehr gedrückt. Ich dachte für einen kurzen Moment, er lässt sie gar nicht mehr los“, schwärmt Tsuboi. Er habe Obama mitgeteilt: „Die Welt wird sich an Sie als jemanden erinnern, der den Überlebenden zugehört hat.“

Obama hat die Menschen am Freitag bewegt. Er ist der erste amtierende US-Präsident, der nach Hiroshima kommt. „Vor 71 Jahren fiel der Tod vom Himmel und veränderte die Welt“, beginnt er seine Rede. Er blickt zu Boden, überlegt. Die Welt müsse die Lehren aus Hiroshima ziehen und trage Verantwortung, dass sich solches Leid nicht wiederhole. „Wir müssen unsere Denkweise über den Krieg selbst ändern, um Krieg durch Diplomatie zu verhindern“, betont er. „In dem Bild der pilzförmigen Wolke, die in den Himmel über dieser Stadt aufstieg, werden wir auf höchst krasse Weise an die Widersprüche der Menschheit erinnert“, sagt Obama. Wissenschaftliche Entdeckungen und Innovation brächten nicht nur Fortschritt, sondern würden auch „immer wirksamere Tötungsmaschinen“ schaffen. Die USA und andere Länder hielten große Arsenale von Atomwaffen. Sie müssten auf nukleare Abrüstung hinarbeiten. Er zeigt sich aber skeptisch, wann eine atomwaffenfreie Welt erreicht werden könne. „Wir mögen dieses Ziel in meiner Lebenszeit nicht erreichen. Aber mit dauerhaften Anstrengungen können wir die Möglichkeit einer Katastrophe verhindern“, erklärt er. Die Arsenale könnten verringert und die Weiterverbreitung verhindert werden.

Dennoch – und das hatte er bereits vor seiner Reise klargemacht – entschuldigt sich Obama nicht bei den Opfern. „Wir gedenken aller Unschuldigen, die während dieses Krieges ums Leben gekommen sind“, betont er. Er warnt vor den Folgen eines neuen Nuklearkriegs. „Die Welt trägt die Verantwortung, dass sich ein solches Leid nicht noch einmal ereignet“, unterstreicht er. Die Staaten mit Atomwaffen müssten den Mut aufbringen, der Logik der Angst zu entkommen und eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Dazu würden auch die USA selbst gehören. „Wir müssen Lehren aus Hiroshima ziehen.“

Japans Ministerpräsident Shinzo Abe würdigt den Besuch als historisch. „Wir schlagen eine neue Seite in unseren Geschichtsbüchern auf.“ Obama habe „eine schwierige, aber wundervolle Entscheidung“ getroffen. Auch Abe ruft zur Abrüstung auf. „Das ist unsere Verantwortung: eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen“, fordert er. „Egal wie lange das dauert oder wie schwer das auch sein mag.“ Kritiker des rechtskonservativen Premiers hatten befürchtet, Abe könnte Obamas Besuch dafür nutzen, Japan als Opfer des Zweiten Weltkriegs zu stilisieren. Doch mit derlei Tönen hält sich Abe am Freitag zurück.

Friedensforscher kritisieren: Enttäuschende Abrüstungsbilanz

Am 6. August 1945 hatten die US-Streitkräfte ihre erste Atombombe abgeworfen. Sie explodierte etwa 600 Meter über der Innenstadt von Hiroshima. Von den 350.000 Einwohnern starben rund 80.000 Menschen sofort. Bis zum Ende des Jahres erlagen weitere 60.000 ihren Brandverletzungen oder der radioaktiven Strahlung. Drei Tage nach dem ersten Abwurf zündeten die Amerikaner über Nagasaki eine zweite Atombombe mit etwa 70.000 Toten.

Bereits 2009, zu Beginn seiner Amtszeit, hatte Obama bei einem Gipfeltreffen in Prag seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt vorgetragen. Nicht zuletzt dafür erhielt er ein halbes Jahr später den Friedensnobelpreis.

Friedensforscher werfen dem US-Präsidenten eine enttäuschende Abrüstungsbilanz vor. Zwar ist die Zahl der nuklearen Sprengköpfe weltweit in den letzten sieben Jahren von 23.300 auf nun 15.850 gesunken – zu Zeiten des Kalten Kriegs waren es noch rund 70.000. Nach Berechnungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri haben die USA ihren Bestand einsatzbereiter Atomsprengköpfe in dem Zeitraum jedoch gerade einmal von 2700 auf rund 2000 gesenkt. Das Land plane, in den kommenden zehn Jahren 348 Milliarden Dollar in die Modernisierung seiner Atomwaffen zu stecken. Allerdings hatte auch Russland kürzlich erklärt, sein nukleares Arsenal hochzufahren.