Berlin.

Thomas de Maizière, ein enger Vertrauter der Kanzlerin, hat eine besonders undankbare Aufgabe in der Bundesregierung. Er ist zuständig für Entwicklungen, die viele Bürger beunruhigen. Der Zustrom von Flüchtlingen gehört dazu, ebenso die wachsende Zahl der Wohnungseinbrüche. Beim Redaktionsbesuch erläutert der Innenminister, welche Strategien er verfolgt.

Hamburger Abendblatt: Herr Minister, in Deutschland wird alle drei Minuten in eine Wohnung eingebrochen. Wieso ist der Staat dagegen machtlos?

Thomas de Maizière: Machtlos trifft es nicht. Deutschland verzeichnet sogar weniger Einbrüche als viele unserer Nachbarstaaten. Und die Einbruchszahlen waren auch in der Vergangenheit schon viel höher. Ich will die schlechte Entwicklung aber nicht kleinreden: Was uns besorgt, ist der Anstieg der letzten Jahre. Das hat viel zu tun mit organisierter Kriminalität, die vom Ausland gesteuert wird. Diese Entwicklung verlangt neue Polizeikonzepte, und die Umstellung braucht leider Zeit. Mir ist aber völlig klar, welch tiefen Eingriff ins Privateste jeder Einbruch für die Opfer bedeutet. Von dem materiellen Verlust mal völlig abgesehen.

Welche Konzepte helfen?

de Maizière: Der einzelne Polizist ist zwar wichtig zur Tatortaufnahme und zur Vorbeugung, kann gegen organisierte Einbruchskriminalität alleine aber nicht viel ausrichten. Wir brauchen mehr Polizeipräsenz. Ich bin dankbar, dass nicht nur im Bund, sondern inzwischen auch in den Ländern wieder mehr Polizisten eingestellt werden. Der Bund ist hier mit einem erheblichen Personalaufwuchs in den vergangenen Jahren vorbildlich.

Klingt nicht besonders innovativ.

de Maizière: Ist ja auch nicht alles. Ich finde es besorgniserregend, dass die Entwicklung des Einbruchdiebstahls in den einzelnen Bundesländern so unterschiedlich ist. Es zeigt, dass die Länder durch gute Arbeit etwas bewirken können, der Schutz vor Einbrechern ist nämlich Ländersache. Bayern ist dabei ein positives Beispiel. Das hat nicht nur mit der Anzahl von Polizisten, sondern auch mit klugen Polizeikonzepten zu tun. Die Polizeibehörden müssen lernen, dass der Kampf gegen Einbruchskriminalität nur überregional zu gewinnen ist. Entscheidend ist, Tatmuster auszutauschen: zwischen den Ländern, mit dem Bund, mit Herkunftsländern von Einbrechern. Außerdem brauchen wir neue, intelligente Methoden der Einbruchsbekämpfung. Dazu zählen zum Beispiel auch Videoüberwachung, eine intelligente Software zur Gesichtserkennung und Vorhersagen von Verbrechen.

Wer kann Verbrechen vorhersagen?

de Maizière: Das klingt nach Science-Fiction, aber Länder wie Bayern arbeiten daran. Wenn man fünf Tatmuster auswertet, kann man herausfinden, an welchem vergleichbaren Ort eine sechste Straftat stattfinden könnte. Dort kann man dann vorbeugend tätig werden. So sind etliche Gangs ausgehoben worden. Vor allem geht es darum, Wohnungseinbrüche zu bekämpfen wie andere Formen der organisierten Kriminalität, den Drogenhandel, Menschenhandel, Waffenhandel. Wir müssen verdeckte Ermittler einsetzen, Telefone abhören und das Vermögen der Einbrecherbosse im Ausland abschöpfen. Wenn die Polizei Täter fasst, brauchen wir dann aber auch schnelle Verfahren bei der Justiz und konsequente Urteile. Auch Vorsorge durch die Bürger gehört dazu ...

… die was genau tun sollen?

de Maizière: Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Bequemlichkeit und Sicherheit. Ich rate zu mehr Umsicht in Eigenheimen: Man sollte das zugängliche Badfenster nicht offen stehen lassen, wenn man das Haus verlässt, und den Schlüssel nicht unter die Topfpflanze am Eingang legen, damit die Kinder nach der Schule ins Haus können.

Noch stärker als die Einbruchskriminalität ist im vergangenen Jahr die Gewaltkriminalität gegen Flüchtlinge gestiegen. Setzt sich diese Tendenz fort?

de Maizière: Leider ja. Schon 2015 haben sich die Angriffe auf Asylbewerber und Asylbewerberunterkünfte verfünffacht – von 199 auf 1031. In den ersten Monaten 2016 hat sich die Situation noch verschlimmert. Seit Januar hat es 449 Übergriffe gegen Flüchtlingsheime gegeben, darunter 82 Gewaltdelikte. Außerhalb der Unterkünfte hat es weitere 654 Straftaten gegen Asylbewerber gegeben, 107 von ihnen verliefen gewaltsam.

Was wissen Sie über die Täter?

de Maizière: Zwar sind Rechtsextreme darunter, die der Polizei und dem Verfassungsschutz bekannt sind. Ein erheblicher Anteil der Tatverdächtigen ist bisher allerdings nicht mit einschlägigen Straftaten in Erscheinung getreten. Viele kommen aus der näheren Umgebung von Flüchtlingsunterkünften. Wenn unbescholtene Bürger plötzlich Gewalt anwenden, gibt das umso mehr Anlass zur Sorge.

Erkennen Sie einen tieferen Grund für die Entwicklung?

de Maizière: Wir erleben eine Teilverrohung unserer Gesellschaft. Die Hemmschwelle sinkt, jemanden zu beleidigen, etwa in Hassmails. Das ist ein neueres Phänomen. Daneben hat die Flüchtlingskrise wie ein Beschleuniger gewirkt. Sie hat das Land polarisiert und bei einigen die Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt noch einmal gesenkt. Jetzt sind Polizei und Rechtsstaat gefordert. Ich begrüße, dass es gegen diese Täter auch harte Strafen der Justiz jetzt gibt. Aber mit Polizei und Justiz allein lässt sich ein solches gesellschaftliches Phänomen nicht bekämpfen.

Worauf wollen Sie hinaus?

de Maizière: Anonymität in der Kommunikation – gerade im Internet – ist kein Fortschritt für die demokratische Kultur. Bei öffentlichen Diskussionen ist es normal, Gesicht zu zeigen und seinen Namen zu sagen. Wir haben für Demonstrationen das Vermummungsverbot eingeführt. Es ist keine Schande, für ein öffentliches Anliegen mit seinem Gesicht friedlich zu demonstrieren. Die Vermummung ist im Internet genauso falsch wie bei einer öffentlichen Demonstration. Das Bekenntnis zum Namen ist richtig und führt zur Mäßigung im Umgang mit der Sprache. Eine Debatte darüber, wie wir als Gesellschaft mit anonymen Hasskommentaren im Internet umgehen sollen, halte ich für sinnvoll.

Woran liegt es wirklich, dass seit einigen Monaten weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen? An dem Pakt mit der Türkei?

de Maizière: Zwei Faktoren spielen hier gemeinsam eine Rolle: die Schließung der Balkanroute und die Vereinbarungen mit der Türkei. Im vergangenen Herbst sind jeden Tag 5000 bis 6000 Menschen von der Türkei nach Griechenland gegangen. Jetzt sind es weniger als 100 pro Tag.

Wie tragfähig ist der Deal mit Ankara?

de Maizière: Wir arbeiten daran, dass diese Vereinbarung hält und umgesetzt wird.

Der türkische Präsident Erdogan weigert sich, die Terrorgesetze des Landes zu ändern – und rüttelt damit an einem wichtigen Pfeiler der Vereinbarung.

de Maizière: Wenn die Bedingungen für die Einführung der Visa-Liberalisierung nicht erfüllt sind, wird es keine Visa-Liberalisierung geben …

… und damit auch keinen Flüchtlingspakt mehr, wenn man sich an Erdogans Drohungen orientiert.

de Maizière: Man darf sich in der Politik von öffentlichen Drohungen nicht beeindrucken lassen. Jedenfalls muss man sie nicht dadurch unterstützen, dass man sich besonders besorgt zeigt. Es wird hart verhandelt.

Gibt es einen Plan B, falls der Deal mit der Türkei scheitert?

de Maizière: Wir denken alles durch, aber jetzt arbeiten wir am Gelingen des bestehenden Abkommens.