Berlin.

Die Frage beunruhigt die Bundesregierung seit Monaten: Können die über eine Million Flüchtlinge, die allein vergangenes Jahr nach Deutschland kamen, in absehbarer Zeit in Arbeit gebracht und in die Gesellschaft integriert werden – und wenn ja, wie? Ein dreiviertel Jahr nach der Zuspitzung der Flüchtlingskrise gibt die Regierung jetzt mit einem Integrationsgesetz die lange erwartete Antwort: Wer sich anstrengt, wird unterstützt – wer nicht mitmacht, dem drohen Nachteile.

Das Kabinett beschloss am Mittwoch bei der Klausur in Meseberg den Gesetzentwurf für die neuen Flüchtlingsregeln, noch am Vortag hatten Union und SPD um strittige Details gerungen. Nach der Entscheidung sprach Kanzlerin Angela Merkel (CDU) von einem „Meilenstein“, Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) von einem „ersten Schritt zu einem umfassenden Einwanderungsgesetz.“ Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen warnten aber vor zu viel Härte.

Das Hartz-IV-Prinzip
Das Gesetz orientiert sich ausdrücklich am Prinzip, das seit elf Jahren für Hartz-IV-Empfänger gilt: Die Mixtur von „Fördern und Fordern“ ist der Maßstab auch für die Integration der Flüchtlinge. „Erfolgreiche Integration ist keine Einbahnstraße“, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der das Gesetz zusammen mit Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) erarbeitet hatte. „Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, wir wollen keine Parallelgesellschaften und keine Gettos.“

Schneller in Arbeit

Für Flüchtlinge im laufenden Asylverfahren werden 100.000 Arbeitsgelegenheiten geschaffen, um erste Erfahrungen mit dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Vorbild sind die Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeitslose, allerdings gibt es in diesem Fall nur 80 Cent pro Stunde. Die Jobs sollen rund um die Flüchtlingsheime entstehen, etwa beim Putzen oder der Essensausgabe. Zugleich können Asylbewerber und Geduldete nach drei Monaten Aufenthalt einfacher in Jobs kommen: Sie dürfen dann ohne weitere Wartezeit auch in Leiharbeit beschäftigt werden. In Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit fällt für sie befristet für drei Jahre auch die Vorrangprüfung weg – die Bundesagentur für Arbeit muss also nicht erst feststellen, ob für eine offene Stelle ein Bewerber aus Deutschland oder der EU zur Verfügung steht. In welchen Regionen diese Öffnung erfolgt, entscheiden die Bundesländer. Nahles sagte: „Die Flüchtlinge sollen früh erste Bekanntschaft mit dem Arbeitsmarkt machen.“

Sicherheit für Ausbilder

Flüchtlinge mit einer Lehrstelle sollen für drei Jahre, also für die Dauer der Ausbildung, einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten. Viele Unternehmen hatten die Unsicherheit bei der Ausbildung von Flüchtlingen beklagt. Nach der Lehre wird für eine ausbildungsangemessene Beschäftigung für weitere zwei Jahre ein Aufenthaltsrecht erteilt. Neu ist zudem, dass Flüchtlinge eine Ausbildung auch beginnen können, wenn sie älter als 21 Jahre sind.

Wohnsitzauflage

Anerkannten Flüchtlingen kann unter bestimmten Bedingungen für drei Jahre der Wohnort vorgeschrieben werden. Damit soll die Entstehung von sozialen Brennpunkten in bestimmten Städten verhindert werden. Wer einen festen Job hat, ist ebenso ausgenommen wie Studenten oder Auszubildende.

Intensivere Integrationskurse

In den Integrationskursen wird der Orientierungsteil mit Wertevermittlung ausgebaut, Asylberechtigte sollen auch dann zur Teilnahme verpflichtet werden können, wenn sie schon einfache Deutschkenntnisse haben. Das Angebot wird nach den Regierungsplänen ausgebaut, die Wartezeit verkürzt.

Strafe für Verweigerer

Wer einen Kurs oder andere Integrationsmaßnahmen ohne triftigen Grund abbricht oder ablehnt, dem können die Sozialleistungen gekürzt werden.

Belohnung für Spracherlernen

Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis wird künftig nicht mehr automatisch nach fünf Jahren erteilt, sondern nur bei guten Deutschkenntnissen und einem Job. Bei herausragender Integration wird indes schon nach drei Jahre eine Niederlassungserlaubnis erteilt.

Die Bedenken der Kritiker

Die Opposition im Bundestag und Flüchtlingsorganisationen warnen, die Asylbewerber würden durch Sanktionsandrohungen unter Generalverdacht gestellt. Linke-Chefin Katja Kipping sprach von einem „Stammtisch per Gesetz“. Auch Juso-Chefin Johanna Uekermann kritisierte den Entwurf als „Integrationsverhinderungsgesetz“. Pro Asyl erklärte, das Gesetz suggeriere, „dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen.“