Athen/Berlin. Griechische Polizei beginnt mit der Räumung des Lagers an der Grenze zu Mazedonien. Rund 54.000 Migranten sitzen im Land fest

    Langsam laufen die Menschen zu den Bussen. Frauen, Männer, Junge und Alte. In ihren Gesichtern spiegeln sich Wut, Müdigkeit, manchmal auch Verzweiflung. Am Straßenrand türmen sich Berge von Gepäck – Rucksäcke, aber auch Einkaufstaschen und Mülltüten, in denen die Flüchtlinge ihr weniges Hab und Gut verstauen und zur Abreise bereitstellen. Das Lager Idomeni an der Grenze zwischen Nordgriechenland und Mazedonien ist am Dienstag ein Ort der zerbrochenen Hoffnungen, der geplatzten Träume.

    Seit dem Morgen räumen rund 1400 Polizisten das Lager. Sie sperren die Zufahrtswege ab, auch Reporter haben keinen Zugang. Nur ein Fernsehteam des staatlichen griechischen Fernsehens darf drehen. Nach Angaben des Sprechers des Krisenstabes, Giorgos Kyritsis, läuft die Räumung bis zum Nachmittag ohne Zwischenfälle ab: „Alles geht nach Plan, es wird keine Gewalt angewendet“, sagt Kyritsis. Ein Helfer berichtet telefonisch aus dem Lager: „Die meisten Menschen wirken ermüdet und desillusioniert. Der monatelange Aufenthalt in dem Lager hat sie zusehends zermürbt – die wenigsten glauben noch an eine Grenzöffnung.“

    Idomeni wurde zum Sinnbild für das Flüchtlingschaos in Europa

    Bis zum Nachmittag verlassen Busse mit geschätzt 1200 Flüchtlingen das Lager, in dem sich zuletzt rund 8200 Menschen aufgehalten haben. Ein Polizeihubschrauber kreist über dem Lager. Die Räumung soll nach Angaben der Behörden etwa eine Woche lang dauern. Auch die seit 66 Tagen von Flüchtlingen blockierte Bahnstrecke, die bei Idomeni über die Grenze führt, soll in den nächsten Tagen wieder frei gemacht werden.

    „Europas Schande“ wurde das Elendslager von Idomeni genannt. Es wurde zum Sinnbild für das Flüchtlingschaos auf dem ganzen Kontinent. Monatelang waren jeden Tag Tausende Migranten über Idomeni auf der Balkanroute nach Mitteleuropa geströmt. Doch im Februar bauten die mazedonischen Behörden einen Stacheldrahtzaun, die Grenze war mit einem Schlag dicht. Zeitweise hausten hier fast 15.000 Menschen unter unwürdigen Bedingungen in kleinen Zelten und Verschlägen.

    Nach offiziellen Angaben des Flüchtlingskrisenstabes der griechischen Regierung hielten sich zuletzt Hunderte Familien mit kleinen Kindern in Idomeni auf. Es handelte sich um Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, aber auch um Armutsmi­granten aus Nordafrika. Sie sollen jetzt in andere, organisierte Lager in Nordgriechenland umgesiedelt werden. Dafür stehen in Armeekasernen und ehemaligen Industriegebäuden 6000 Plätze zur Verfügung. Weitere 2000 sollen bis Ende dieser Woche eingerichtet werden. Bereits am Sonntag und Montag hatten sich rund 400 Menschen bereit erklärt, aus Idomeni in die neuen Lager umzuziehen.

    Fachleute schließen aber nicht aus, dass es nach dem friedlichen Auftakt der Aktion doch noch zu Zwischenfällen kommen könnte. Den harten Kern des Lagers bilden vor allem Armutsmigranten aus Nordafrika und anderen Ländern, die keine Aussicht auf Asyl haben. Sie müssen damit rechnen, abgeschoben zu werden. Es sind überwiegend junge Männer, die in den vergangenen Wochen mehrfach versucht hatten, den Grenzzaun zu Mazedonien niederzureißen. Erst vergangene Woche benutzten sie einen Güterwaggon als Rammbock.

    Immer wieder gab es in den vergangenen Monaten hässliche Fernsehbilder aus Idomeni. Mal wurden Tränengaseinsätze mazedonischer Grenzer gegen Flüchtlinge gezeigt, mal sorgten Berichte über Drogenhandel und Prostitution für Aufsehen. Schleuser versuchten ein ums andere Mal, verzweifelte Menschen über die Grenze nach Mazedonien zu bringen. Dort wurden die meisten aber schnell aufgegriffen und nach Griechenland zurückgeschickt. Heftige Regenfälle hatten während der vergangenen Tage das Lager in eine Schlammwüste verwandelt.

    Welche Perspektive die jetzt umgesiedelten Menschen in den neu eingerichteten Lagern haben, ist ungewiss. Nach offiziellen Angaben sitzen derzeit gut 54.000 Flüchtlinge in Griechenland fest. Etwa 43.000 von ihnen leben in rund 40 offiziellen Lagern. Sie könnten in Griechenland Asyl beantragen. Die meisten wollen aber weiter nach Nordeuropa, vor allem nach Deutschland. An eine legale Weiterreise ist bisher kaum zu denken. Unklar ist das Schicksal der rund 8500 Menschen, die in den Registrierzentren – den sogenannten Hotspots – auf den ostägäischen Inseln festgehalten werden.

    Viele Flüchtlinge werden wohl mehrere Jahre in Griechenland bleiben. Aussicht auf Jobs haben sie angesichts der hohen Arbeitslosenquote von 25 Prozent kaum. Die griechischen Behörden haben bisher auch keine Inte­grationskonzepte entwickelt. Es gibt weder finanzielle Unterstützung für die Flüchtlingsfamilien noch Schulen für ihre Kinder. Unklar ist, was aus den Menschen im nächsten Winter werden soll. Viele der organisierten Unterkünfte bestehen aus Zelten, die nicht beheizt werden können.