Brüssel.

    Eigentlich schien die Sache klar: Letzten Mittwoch erörterte die EU-Kommission den Stand der Dinge im Streit um Rechtsstaat und Demokratie in Polen. Laut eigener Mitteilung kam das Team Juncker dabei zum Schluss: Die Mängel bestehen fort, die regierende nationalkonservative Partei PiS verstößt gegen die Gewaltenteilung. Für den Fall, dass es „keine eindeutigen Fortschritte“ gebe, habe man den Vizepräsidenten Frans Timmermans zur Abmahnung ermächtigt. Und zwar „bis zum 23. Mai“.

    Fünf Tage später löst sich die Frist in Nebel auf. Junckers Sprecher verkündete lediglich: „Die Kommission spricht weiterhin konstruktiv mit den polnischen Behörden und wir hoffen auf Lösungen.“ Die Kommission habe ihren Vizepräsidenten bevollmächtigt, aber nicht verpflichtet, der Regierung in Warschau ein Mahnschreiben zu schicken. Was dabei das Zieldatum
    23. Mai besagen sollte, bleibt im Dunkeln, ebenso die Frage, wann die EU-Zentrale den nächsten Schritt in dem Verfahren tun will, das sie selbst konzipiert hat, um den gemeinsamen Prinzipien auch gegenüber Mitgliedsstaaten Respekt zu verschaffen.

    So nimmt die Auseinandersetzung mit Polen – der erste Anwendungsfall – absurde Züge an. Dabei ist die Sache ernst genug: Brüssel beanstandet, wie die Regierung der Ministerpräsidentin Beata Szydlo, die sich zum Umbau von Staat und Gesellschaft beauftragt fühlt, das Verfassungsgericht an die Kandare nimmt. Einem EU-Staat, der sich „eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ der EU-Grundwerte leistet, können die Mitgliedsrechte beschnitten werden. Das müsste allerdings letztlich von allen Partnern beschlossen werden. Weil die ungarische Regierung unter Premierminister Viktor Orbán ähnlich denkt wie die polnische, braucht die PIS sich vorderhand darüber keine großen Sorgen zu machen.