Münster/Berlin.

Die umstrittene Praxis, männliche Küken massenhaft nach dem Schlüpfen zu töten, verstößt nicht gegen das Tierschutzgesetz. Das hat das Oberverwaltungsgericht Münster am Freitag entschieden. Die Tötung der Küken diene „der Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch“, erklärten die OVG-Richter. Das Gericht kassierte damit einen Erlass des nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministers Johannes Remmel. Der Grünen-Politiker hatte die Methode untersagen lassen. Dagegen hatten Betriebe aus der Geflügelwirtschaft geklagt.


Worum geht es?

In der Legehennenzucht wird von der EU geduldet, dass männliche Küken innerhalb von 72 Stunden nach ihrem Schlüpfen getötet werden. Der Grund: Sie können keine Eier legen, sind aber wegen der Zucht auch nicht für die Mast geeignet. Nach Angaben von Tierschützern erleiden dieses Schicksal bis zu 50 Millionen Eintagsküken im Jahr. Die Methode ist qualvoll: Die Küken werden auf Förderbändern direkt nach dem Schlüpfen von geschulten Arbeitern aussortiert. Diese können das Geschlecht sekundenschnell erkennen, unter anderem an der Gefiederfarbe. Nach Darstellung von Tierschutzorganisationen werden die frisch geborenen Küken anschließend in einem Schredder lebendig zerhäckselt oder durch Gas erstickt.


Warum befasst sich die Justiz mit dem Kükentöten?

Der Grünen-Politiker Remmel hatte 2013 per Erlass die Ordnungsbehörden aufgerufen, diese Praxis zu untersagen. Das Verbot für Brütereien in NRW trat 2015 in Kraft. Daraufhin klagten elf Betriebe, denen das Verwaltungsgericht in Minden recht gab. Die Richter erklärten, dass das Verbot einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit der Betreiber von Brütereien bedeute. Dagegen wurde Berufung eingelegt.

Wie begründen die Richter ihr Urteil?
Laut dem Richterspruch des Oberverwaltungsgerichts verstößt die Praxis, männliche Küken nach dem Schlüpfen zu töten, nicht gegen das Tierschutzgesetz. Das Tierschutzgesetz erlaube das Töten von Tieren, wenn dafür „ein vernünftiger Grund“ vorliege. Und die Aufzucht der ausgebrüteten männlichen Küken sei für die Brütereien mit einem „unverhältnismäßig großen Aufwand“ verbunden. Revision ließ das OVG nicht zu. Möglich sei aber eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

Wie reagiert die

Politik?

NRW-Minister Remmel bezeichnete das Urteil als herbe Niederlage für den Tierschutz: „Tiere sind keine Abfallprodukte, die nur wegen der Gewinnmaximierung getötet werden dürfen.“ Bundesland­­wirtschafts­minister Christian Schmidt (CSU) sagte dieser Zeitung, er werde alles dafür tun, „das Kükenschreddern mit einer praxistauglichen Alternative 2017 zu beenden. Mit grüner Schaufensterpolitik erreicht man weder etwas fürs Tierwohl, die Küken, noch für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland.“

Wie reagiert die
Wirtschaft?

Der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft begrüßt die Entscheidung. Ein Verbot hätte nach Ansicht des Verbandes das Aus aller Brütereien in Deutschland zur Folge gehabt, sagte die Sprecherin Christiane von Alemann. Küken wären dann aber dennoch weiter geschreddert worden – und zwar im Ausland. Nach Verbandsangaben verzehrt jeder Deutsche im Durchschnitt rund 18,9 Kilo Geflügelfleisch und 214 Eier pro Jahr.


Gibt es Alternativen zur Kükentötung?

Die Bundesregierung und die Geflügelwirtschaft setzen auf eine technische Lösung. Der Forschungsverbund Leipzig/Dresden entwickelt derzeit ein Verfahren, mit dem das Geschlecht der Küken im Ei mittels Infrarotspektroskopie erkannt wird. Damit soll verhindert werden, dass männliche Küken überhaupt schlüpfen. Unklar ist, wann die Methode praxistauglich wird, frühestens aber in einem Jahr. Die Grünen im Bundestag fordern, die Extremzucht zu beenden, sagte Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher, dieser Zeitung: „Es muss wieder Rassen geben, die sowohl zur Mast als auch zum Eierlegen taugen. Das Zweinutzungshuhn ist die bestmögliche Lösung.“