London . In der Brexit-Debatte werden die Töne schriller. Umfragen sehen Kopf-an-Kopf-Rennen

    Man muss nur Hitler ins Spiel bringen, dann hören alle zu. Boris Johnson, der Ex-Bürgermeister von London und die Galionsfigur des Brexit-Lagers, hat Öl ins Feuer der Debatte über Großbritanniens Verbleib in der Europäischen Union gegossen. Die EU, sagte er in einem Interview, strebe einen Superstaat an, der ganz Europa unter seine Herrschaft bringen will: „Napoleon, Hitler, verschiedene Leute haben das versucht, und es endet immer tragisch. Die EU ist ein Versuch, dies mit einer anderen Methode zu erreichen“. Mit dem Aufschrei, der folgte, hatte der Politiker, der sich Hoffnungen macht, David Cameron als Premierminister zu beerben, erreicht, was er wollte: Alle reden über ihn.

    Johnsons Hitler-Vergleich ist aber auch ein gezieltes Fischen am chauvinistischen Rand. Er nimmt ein Argument auf, das britische Hardline-Euroskeptiker schon seit gut drei Jahrzehnten anführen: Dass die EU dort weitermache, wo Hitler aufhörte und dass die Union dazu führen werde, dass Deutschland ganz Europa dominiert. Auf diese Denkfigur spielt Johnson an, als er sagte, dass der Euro die italienische Automobilindustrie zerstört habe „wie es die Deutschen beabsichtigten. Der Euro ist das Mittel geworden, durch den eine überlegene deutsche Produktivität in der Lage ist, einen absolut unschlagbaren Vorteil über die ganze Eurozone zu gewinnen.“

    Noch knapp sechs Wochen bis zur Abstimmung

    Es sind schrille Töne, die Johnson bietet, aber da steht er nicht allein. Die Brexit-Debatte in Großbritannien droht immer mehr auszuarten. „Der Niedergang von Überspitzung zu Hysterie“, drückte es der „Guardian“aus, „war ungewöhnlich steil in der letzten Woche“. Tatsächlich wird vernünftiges Diskutieren immer mehr abgelöst durch dissonante Töne. Da wird oft nicht der Ball, sondern der Gegner gespielt. Johnson wurde als „Apologet für Präsident Putin“ von Ex-Außenminister Jack Straw bezeichnet. Und Premier Cameron deutete an, dass ein Brexit die nationale Sicherheit und die Friedensordnung auf dem Kontinent gefährden könne, worauf er von Johnson als „verrückt“ beschimpft wurde.

    Noch knapp sechs Wochen an hitzigen Debatten kommen auf die Briten zu. Meinungsforscher sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Grund, warum der Ton der Debatte so leidenschaftlich geworden ist, liegt nicht nur darin, dass es am 23. Juni im Referendum um eine Schicksalsentscheidung geht. Damit verknüpft ist auch die Machtfrage. David Cameron müsste im Fall einer Niederlage seinen Posten räumen und Boris Johnson hätte dann die besten Aussichten, der nächste Parteichef der Konservativen und Premier zu werden.