Hannover.
Eben noch ging ein Schnee- und Hagelschauer über Hannover nieder. Als die schwarze Limousine mit US-Präsident Barack Obama kurz nach 15 Uhr am Schloss Herrenhausen vorfährt, scheint plötzlich die Sonne. Kanzlerin Angela Merkel erwartet den Gast im gelben Blazer. Küsschen links, Küsschen rechts. Obama legt den linken Arm über Merkels Rücken. Es ist der fünfte und voraussichtlich letzte Deutschlandbesuch des US-Präsidenten während seiner Amtszeit.
Auch bei der Pressekonferenz am späten Nachmittag versuchen Merkel und Obama ein Bild der Vertrautheit abzugeben. Merkel dankt dem „lieben Barack“ für die „offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Es folgt ein Husarenritt durch die Weltkrisen. Die Kanzlerin erwähnt den deutsch-amerikanischen Schulterschluss im Kampf gegen den Terror und bei der Lösung der Fluchtursachen. Sie betrachte die neuesten Kämpfe in Syrien allerdings „sehr sorgenvoll“, räumt sie ein. Die Regierung der nationalen Einheit in Libyen müsse unterstützt werden.
Obama steht daneben und nickt. Er nennt Merkel „meine Freundin und Partnerin Angela“. Da klingen Respekt und Sympathie durch. Er lobt den deutschen Beitrag in der Kampagne gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), ohne auf die Tornado-Aufklärungsflüge über Syrien konkret einzugehen. Auch den Militäreinsatz der Bundeswehr in Afghanistan hebt er hervor, unterstreicht aber die Notwendigkeit, dass die Europäer mehr Geld für die Verteidigung lockermachen. Die Kanzlerin sagt dies postwendend zu.
Merkel und Obama, das ist in diesen Tagen eine Notgemeinschaft in einer unsicheren Welt. Die beiden brauchen einander – auch wenn in Einzelfragen Differenzen vorherrschen. Derzeit hakt es vor allem beim Projekt eines Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP). Der US-Präsident verbreitet zumindest einen Funken Optimismus. „Ich erwarte nicht, dass das Abkommen bis zum Ende des Jahres ratifiziert wird, aber eine grundsätzliche Einigung ist möglich“, betont er. Und: „Jetzt müssen die Verhandlungspartner einen Kompromiss finden.“ Bislang jedoch kommen die seit 2013 andauernden Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und der US-Regierung nicht voran.
Viel steht auf dem Spiel: Die USA und Europa sind trotz Aufholjagd der ostasiatischen Schwellenländer immer noch die größte ökonomische Macht. Beide stellen rund 40 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. 2015 waren die USA der wichtigste Exportmarkt für deutsche Firmen. Da kommt es wie gerufen, dass Amerika dieses Jahr Partnerland der am Abend von Merkel und Obama eröffneten Hannover Messe ist.
Vor allem in Deutschland sind dieVorbehalte gegen TTIP groß
Ein Grund, warum ein TTIP-Vertrag nicht zustande kommt, sind die Vorbehalte in der Öffentlichkeit. Vor allem in Deutschland ist die Skepsis sehr groß, dass ein Freihandelsvertrag zu einer Verwässerung der hohen Arbeits-, Umwelt- und Verbraucher-Standards führen könnte.
Die deutsche Wirtschaft legt sich hingegen für ein Abkommen ins Zeug. „Wenn wir TTIP nicht abschließen, drohen wir im internationalen Wettbewerb zurückzufallen“, sagt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), dieser Zeitung. Er macht eine einfache Rechnung auf: „Durch TTIP könnten wir unser Exportwachstum in die USA auf hohem Niveau halten. Auch ohne den positiven Effekt eines schwachen Euros wäre dann ein Plus von zehn Prozent drin.“
Die aufgeräumte Stimmung zwischen Merkel und Obama gestern Nachmittag kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide in der Vergangenheit ihre Probleme miteinander hatten. So war Obama zunächst verschnupft, dass Merkel ihm bei seinem Berlin-Besuch im Juli 2008 den Wunsch nach einer Rede am geschichtsträchtigen Brandenburger Tor abgeschlagen hatte.
Dennoch unternahm Obama danach mehrere Anläufe, Merkel aufzuwerten. So verlieh er ihr Anfang 2011 die Freiheitsmedaille im Weißen Haus, die höchste zivile Auszeichnung Amerikas. Der Aufstieg der Pastorentochter mit DDR-Vergangenheit zur ersten deutschen Kanzlerin faszinierte damals viele in den USA. Obama sah Deutschland als Anker in Europa und Merkel als Primus inter Pares.
Danach kühlte das Verhältnis ab. Merkel folgte nicht dem Wunsch der Amerikaner, sich beim Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen 2011 militärisch zu beteiligen. Deutschland enthielt sich im UN-Sicherheitsrat, was bei den westlichen Verbündeten auf Missfallen stieß. Die NSA-Affäre im Sommer 2013, in der die Abhöraktion der Amerikaner gegen Merkels Handy aufflog, sorgte für heftige transatlantische Verstimmungen. Doch die Kanzlerin reagierte mit gebremster Empörung („Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“). Nach den Terroranschlägen 2015 in Paris und 2016 in Brüssel wurden die Geheimdienste in Europas Politik-Zentralen in neuem Licht gesehen. Plötzlich ist Kooperation und Datenaustausch ein Wert an sich.
Wie in Libyen verhielt sich Obama auch in der Ukraine-Krise erstaunlich defensiv. Als die Lage eskalierte, handelte Merkel. Im Februar 2015 schmiedete sie zusammen mit Frankreichs Präsident François Hollande das Minsker Waffenstillstandsabkommen. Von Obama war damals nicht viel zu sehen.
Doch bei der Farewell-Visite des Amerikaners ist die Tonlage anders. Zum Schluss wird der Präsident fast schwärmerisch. „In Europa steht Angela auf der richtigen Seite der Geschichte“, preist er ihre Flüchtlingspolitik. „Sie ist konsequent, stetig, vertrauenswürdig. Und sie hat einen Sinn für Humor, den man nicht in jeder Pressekonferenz bemerkt.“ Da strahlt Obama über das ganze Gesicht. Merkel kontrolliert ihre Züge und lächelt nur kurz.