Brüssel.

US-Präsident Barack Obama tritt im Januar ab. Ob danach das heiß umstrittene transatlantische Freihandels-Projekt noch realistische Chancen hätte, steht in den Sternen. „Einen Abschluss der TTIP-Verhandlungen unter Obama halte ich für immer unwahrscheinlicher, dazu sind noch zu viele Fragen ungeklärt“, sagt Bernd Lange, als Chef des Handelsausschusses in Sachen TTIP der entscheidende Mann im Europa-Parlament. Auf jeden Fall drängt die Zeit. Bei TTIP geht es um den Abbau von Zöllen und die Angleichung von Industriestandards.

Von den 24 Verhandlungskapitelnist keines abgehakt

Das schaffe mehr Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze, schwärmen die Befürworter. Das führe zur Aufweichung europäischer Arbeitsrechts- und Umweltrichtlinien, warnen die Gegner. Die EU-Volksvertretung muss am Ende absegnen, was die Delegationen unter der Handelskommissarin Cecilia Malmström und dem amerikanischen Handelsbeauftragen Michael Froman vereinbart haben.

Der Handel zwischen Europa und den USA ist unverändert wichtig. Nach einer Untersuchung des Forschungsinstituts Prognos, die dieser Zeitung vorliegt, haben die USA den fast 40 Jahre andauernden Trend des industriellen Rückgangs gestoppt - und zwar im Wesentlichen durch niedrige Energiekosten. Die Forscher prognostizieren einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in den USA um jährlich 2,1 Prozent bis 2040.

In bislang zwölf Runden – die 13. beginnt am 25. April - ist man über die Ausgangspositionen kaum hinaus gekommen. Die Suche nach dem gemeinsamen Nenner ist durchweg erfolglos geblieben. Zollabbau, Finanzdienste, Marktzugang, Landwirtschaft, öffentliches Auftragswesen, regulatorische Zusammenarbeit oder Investor-Schiedsgerichte – keines der 24 Verhandlungskapitel von TTIP ist abgehakt. „Wir dürfen unsere Standards nicht aufgeben, aber wir brauchen jetzt eine Bereitschaft zu Kompromissen, die auch weh tun“, sagt Reinhard Quick, für den Verband der Chemischen Industrie Mitglied der Beratergruppe, die auf EU-Seite die Verhandlungen begleitet. Eine Frist, bis zu der das Abkommen unter Dach und Fach sein muss, gibt es nicht. Aber Obama wie auf der anderen Seite Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU haben das Ziel ausgegeben, in Laufe dieses Jahres ein Ergebnis zu erzielen. Bei Merkel schimmert mittlerweile Vorsicht durch. Anfang des Monats bekräftigte sie: „Wir erwarten 2016 bedeutsame Fortschritte in den Verhandlungen über eine Transatlantische Partnerschaft und Investitionspartnerschaft.“ Totale Zuversicht klingt anders. Die Resthoffnungen richten sich auf Obamas bevorstehenden Besuch in Deutschland. Am 24. April trifft er Merkel auf der Hannover Messe. „Ich bin hoffnungsvoll, dass sich Merkel und Obama aktiv einmischen und Druck machen“, sagt TTIP-Berater Quick. „Dies ist Obamas letzte Chance“, meint SPD-Mann Lange. „Durch die lange Blockadehaltung der Amerikaner haben wir sehr viel Zeit verloren.“

In den USA konzentriert mansich auf den Pazifik

Sein CDU-Parlamentskollege Daniel Caspary erwartet ein Signal: „Es wäre hilfreich, wenn die beiden klare Botschaften an die Verhandler gäben, dass TTIP zum erfolgreichen Ende gebracht werden muss, wenn möglich in diesem Jahr!“ Denn was unter Obamas Nachfolger oder – wahrscheinlicher – seiner Nachfolgerin aus dem Vorhaben wird, ist ungewiss. Die republikanischen Kandidaten Donald Trump und Ted Cruz sind schon deswegen gegen TTIP, weil der Amtsinhaber dafür ist. Die demokratische Favoritin Hillary Clinton steht zu dem geplanten Pakt – aber nur im Prinzip und auf Nachfrage. Lieber vermeidet sie das Thema. Politisch ist damit in Amerika kein Blumentopf zu gewinnen. Von der hitzigen Debatte um TTIP, das in Deutschland zum roten Tuch für Globalisierungsgegner und Antikapitalisten geworden ist, kann in den USA keine Rede sein. Hier konzentrieren sich Interesse und Streitlust auf TPP. Das ist der Freihandelsvertrag, den Washington mit elf Ländern des Pazifischen Raums abgeschlossen hat, und auf die Frage, was das für Jobs und das Verhältnis zum großen Rivalen China bedeutet.

Die Schlacht um das Pazifik-Abkommen ist in Washington vorrangig, und sie ist längst nicht geschlagen. Wann die nächste Regierung dazu käme, sich TTIP anzunehmen und in welchem Sinne, ist völlig offen. Doch nicht nur in den USA geriete TTIP nach dem Amtswechsel im Weißen Haus in stürmische Gewässer. 2017 wird auch in zwei EU-Schlüsselländern gewählt. Im Frühjahr bestimmen die Franzosen Präsidenten und Parlament, im Herbst sortieren die Deutschen in der Bundestagswahl die politischen Kräfteverhältnisse für die nächste Legislaturperiode.

Kein Wunder, dass bei Gegnern des Abkommens Zuversicht keimt, der umstrittene Pakt steuere auf seine Beerdigung zu. Zwar ist nach einer Eurobarometer-Umfrage nur in vier EU-Staaten die Mehrheit der Bürger gegen TTIP: Deutschland, Österreich, Slowenien und Luxemburg. Doch auch andernorts haben Populisten das Thema als brauchbares Vehikel zur Stimmungsmache entdeckt. Kam der Widerstand anfangs vorwiegend von Linken, Grünen und Bürgerrechtlern, melden sich jetzt auch die Rechtspopulisten. In Frankreich hat der Front National, in Deutschland die AfD die vier Reiz-Buchstaben für die kommenden Wahlkämpfe vorgemerkt. In Österreich sind sämtliche sechs Kandidaten für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zu TTIP auf Distanz gegangen.