Berlin .

Eine Muslimin darf das Fitnessstudio nicht betreten, weil sie ein Kopftuch trägt. Ein Afrikaner wird nicht in eine Diskothek eingelassen, weil er ein Farbiger ist. Ein 23-jähriger Angestellter bekommt einen Arbeitsplatz nicht, weil er zu jung ist. Einem erfahrenen 50-Jährigen wird dieselbe Stelle verweigert, weil er angeblich zu alt ist. Ein Kind wird in der Schule gehänselt, weil es aus einer ärmeren Familie stammt. Eine Frau erhält in einem Callcenter bei einer 30-Stunden-Woche 1500 Euro ausgezahlt, ihr männlicher Kollege für den gleichen Job unterdessen 1600 Euro bei einer 20-Stunden-Woche.

Diskriminierung trägt vielfältige Gesichter – und zählt in Deutschland ganz offensichtlich zum Alltag. Fast jeder Dritte Bundesbürger – 31,4 Prozent – hat in den vergangenen zwei Jahren eine Diskriminierung erlebt. Die meisten erfuhren diese nach eigenen Angaben aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer sozioökonomischen Lage. Am häufigsten fanden die Diskriminierungen dabei im Arbeitsleben statt – fast jeder zweite hat sie im Job erlebt. Weitere 40 Prozent erfuhren sie in der Öffentlichkeit oder Freizeit – etwa auf der Straße, in Bussen und Bahnen oder in Sportvereinen. Vor allem fühlen sich 14,9 Prozent der Frauen wegen ihres Geschlechts benachteiligt, während nur 3,2 Prozent der Männer darüber klagen.

Dies hat eine repräsentative Umfrage des SOKO-Instituts unter 1000 Personen ab 14 Jahren im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergeben. Zudem berichten mehr als 18.000 Menschen in einer weiteren – nicht repräsentativen – Studie freiwillig über Situationen, in denen sie diskriminiert wurden.

Die weite Verbreitung von Diskriminierung bezeichnet die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, als überraschend: „Diskriminierungserfahrungen sind in Deutschland alles andere als ein Nischenthema.“ Benachteiligung im Alltag treffe keineswegs nur Minderheiten, sondern einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Sie finden in allen Lebensbereichen statt. Besonders oft sehen sich Menschen wegen ihres Alters benachteiligt. „Eine Firma schreibt Stellen gezielt nur für bestimmte Altersgruppen aus. In einem anderen Unternehmen werden Bewerbungen aussortiert, wenn ein bestimmtes Alter überschritten ist“, berichtet Lüders von Fällen aus der täglichen Beschwerdepraxis. Beide Verfahren seien nicht rechtens. In einigen Berufen würden Altersgrenzen definiert, die „unsinnig“ seien. Die Diskriminierung aufgrund des Alters sei wiederum nicht nur ein Rechtsverstoß, sondern auch angesichts der Überalterung der Bevölkerung problematisch. „Wir können uns die Altersdiskriminierung nicht leisten.“

Klagerecht für Verbände gegen Diskriminierung gefordert

Starke Benachteiligungen empfindet jeweils knapp ein Zehntel der Befragten aufgrund des Geschlechts, wegen der Religion und Weltanschauung, aus rassistischen Gründen, wegen der Herkunft oder einer Behinderung. Hinzu kommen Diskriminierungen aufgrund der sozioökonomischen Lage – also wegen des Bildungsstandes und Einkommens. Betroffen sind hierbei oft Alleinerziehende, Kinderlose oder Geschiedene, die sich ausgegrenzt sehen. Manche Menschen fühlen sich auch diskriminiert, weil sie sich wegen ihres Körpergewichts, ihrer Größe oder auch aufgrund von Tätowierungen an den Rand der Gesellschaft gedrängt sehen. Aus rassistischen Gründen und aufgrund ihrer Herkunft fühlt sich ein Viertel der Befragten mit Migrationshintergrund benachteiligt.

Doch die Mehrheit der Menschen lässt die erlittenen Erniedrigungen nicht protestlos über sich ergehen. 27,4 Prozent haben versucht, öffentlich auf ihr erlittenes Unrecht aufmerksam zu machen. Jeder Sechste hat sich bei einer offiziellen Stelle beschwert, jeder Siebte nahm Hilfe in Anspruch. Allerdings haben nur 6,2 Prozent eine Klage eingereicht. Sich juristisch zu wehren, falle vielen schwer, weiß Lüders: „Wenn jemand kein nervenstarker Einzelkämpfer ist, dann braucht es eine gut organisierte Interessenvertretung, um nicht alleine beispielsweise gegen den Arbeitgeber vorgehen zu müssen.“ So sei es kein Wunder, dass die meisten Prozesse von Gewerkschaften im Arbeitsbereich geführt würden – wie beim Piloten-Urteil zu Altersgrenzen. Dagegen seien kaum Verfahren im Bereich Religion oder Herkunft anhängig. Hier gebe es Nachholbedarf.

Grundsätzlich ist die Gleichheit der Bundesbürger im Grundgesetz Artikel 3 festgeschrieben. „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Darüber hinaus soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) weiter Benachteiligungen vor allem im Arbeitsleben verhindern. Um den Bürgern noch stärker zu ihrem Recht zu verhelfen, schlägt Lüders die Einführung eines „Klagerechts für die Antidiskriminierungsstelle sowie für Verbände“ vor. So erhielten die Betroffenen in ihrem Rechtsstreit stärkere Unterstützung. Ein solches Klagerecht gebe es bereits in Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden.

Gleichzeitig arbeite die Antidiskriminierungsstelle an einer Weiterentwicklung des AGG, dessen Entwurf im Sommer vorgestellt werden soll. Die bisherigen sechs Merkmale von Diskriminierung – Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion, Behinderung und sexuelle Orientierung – sollen ergänzt werden. Die Antidiskriminierungsstelle denke darüber nach, die Kategorien „soziale Herkunft und Körpergewicht“ in das Gesetz einzuarbeiten, berichtet Lüders. Zugleich müssten aber auch die Arbeitgeber künftig noch stärker ihrer gesetzlichen Verpflichtung zum Schutz vor Diskriminierung nachkommen.

Das Schicksal von Flüchtlingen wurde in den Studien bislang noch nicht gesondert erfasst. Allerdings sieht Lüders auf diese Gruppe ein besonders hohes Diskriminierungsrisiko zukommen: „Spätestens wenn diese Menschen Wohnungen oder Arbeitsplätze suchen, besteht die Gefahr, dass sie aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe zurückgestellt werden könnten.“