Berlin .

ZDF-Moderator Jan Böhmermann wird angeklagt, und das ist für ihn gut so. Denn erst vor Gericht kann seine Satireaktion nun die finale Abrundung erreichen. Schließlich ging es Böhmermann ja darum, die Grenzen der Satire in Deutschland auszutesten. Und deutsche Gerichte beweisen seit vielen Jahrzehnten, dass sie bei der juristischen Grenzziehung in solchen Fällen äußerst komische Ergebnisse hervorbringen können – allerdings unfreiwillig. Vor allem der Kunstbegriff ist für Juristen dabei ein Minenfeld.

In Deutschland gilt der Streit im Jahr 1963 über Klaus Manns Buch „Mephisto – Roman einer Karriere“ als Urbeispiel der Satirerechtsprechung. Das Buch schildert den Aufstieg eines Schauspielers im Dritten Reich, der seine Überzeugungen verleugnet, um unter den Nazis Karriere zu machen. Peter Gorski, Adoptivsohn und Alleinerbe von Schauspieler Gustaf Gründgens, klagte gegen den Roman, dessen Hauptfigur er als eine böse Satire auf seinen Vater ansah. Erstmals musste sich damals das Bundesverfassungsgericht mit der Frage beschäftigen, wie weit Kunst und Satire gehen dürfen.

Grundsätzlich gilt seitdem: Das Gericht muss die Satire zunächst analysieren, muss ihre Bestandteile aufspalten und diese einzeln verstehen. Die Rede ist vom Kleid und dem Kern der Satire. Wie ein Koch mit scharfem Schälmesser sollen die Juristen alle künstlerischen Schalen des umstrittenen Werks abtragen, bis der harte Bedeutungskern zum Vorschein kommt. Erst am Bedeutungskern kann geprüft werden, ob das Werk als Ehrverletzung abgeurteilt oder als zulässige Meinungsäußerung freigesprochen werden muss.

Quietscheente als„surrealistisches Stilelement“

Ein Beispiel: Im April 1993 erschien die Satirezeitschrift „Titanic“ mit einem Titelbild, das den damaligen SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Björn Engholm mit grinsendem Gesicht in der Genfer Hotelbadewanne zeigt, in der Uwe Barschel tot aufgefunden worden war. Ein gelbes Quietscheentchen sitzt neben Engholm auf dem Wannenrand. „Sehr komisch, Herr Engholm!“, stand unter der Fotomontage. Hintergrund waren Engholms damals unvollständige Aussagen zur Barschel-Affäre. Der Politiker sah seine Menschenwürde „auf das Schwerste verletzt“ und verklagte die Zeitschrift auf Schmerzensgeld. Er sah sich durch die Darstellung „nicht nur mit Barschel gleichgesetzt, sondern auch für dessen Tod verantwortlich gemacht“, hieß es in der Klageschrift.

Das Landgericht Hamburg sah dennoch eine künstlerische Satire als gegeben an. Engholms Lächeln auf dem Foto sei zum Beispiel „Ausdruck schöpferischen Gestaltens“ der Satirezeitschrift, und das „alberne Entchen“ erkannten die Richter als deutliches, eher strafmilderndes Ironiesignal: Es gebe der Fotomontage Engholms in der Barschelwanne sogar eine „friedvolle Badestimmung“, formulierten die Juristen.

Dem widersprach jedoch in zweiter Instanz das Oberlandesgericht. Und das Element der Quietscheente wurde damit zu einem ernsten Punkt der juristischen Bewertung. „Die Ente ist so klein, dass sie als surrealistisches Stilelement eher untergeht“, notierten die Richter im Urteil. Engholm werde damit in die Nähe „einer Leiche“ gerückt.

Die Satirezeitschrift machte es den Richtern schließlich einfach, sich auch ohne weitere Entendiskussion zu einigen: Sie druckte nochmals einen Engholm-Titel, diesmal eine Fotomontage mit allen Familienmitgliedern in der Wanne und dem Schriftzug: „Sie lassen sich das Baden nicht verbieten.“ Im Heftinneren zeigten mehrere absichtlich geschmacklose Fotomontagen Björn Engholm als einnässenden, Hitlergruß zeigenden Neonazi, Pornodarsteller und Geiselnehmer. Die finale Strafe für das Blatt: 40.000 Euro Schmerzensgeld für Engholm plus Zahlung der Gerichtskosten von mehr als 100.000 Euro. Es wurde einer der teuersten Satirestreitfälle der bundesrepublikanischen Geschichte.

An den Satirezeitschriften „Pardon“ und „Titanic“ haben sich Heerscharen von Anwälten und Richtern versucht – meistens mit mäßigem Erfolg. „Etwas Schöneres, als dass man verklagt wird, kann es unter Werbegesichtspunkten gar nicht geben“, sagt Gabriele Rittig, Anwältin der „Titanic“. Seit vielen Jahren prüft sie vor Drucklegung, wie weit die Redakteure gehen können, ohne die Existenz des Magazins zu gefährden. Klagen nahm man immer wieder in Kauf. Die Kläger berufen sich in der Regel auf ihre Persönlichkeitsrechte, ihre Ehre und ihre Menschenwürde. Oder, wenn es Firmen sind, auf ihr Copyright. Die klagenden Würdenträger und Organisationen haben sich durch die Zeit verändert. Anhand der Satirestreitfälle lässt sich auch eine Art Sittengeschichte der Bundesrepublik erzählen.

Was waren das noch für Zeiten, als eine Fotomontage des Künstlers Klaus Staeck für Aufruhr sorgte: Sein Plakat zeigte 1981 einen Manager der Rüstungsindustrie, der eine großkalibrige Patrone in der Hand hält und den Schriftzug: „Alle reden vom Frieden. Wir nicht.“ Als der Manager klagte, sprachen Gerichte den Künstler frei. Seine politische Satire behaupte nicht, der abgebildete Manager gefährde aus egoistischen Geschäftsinteressen den Frieden, sondern nur „die Herstellung von Waffen gefährde den Frieden“.

Immer wieder als Kläger gegen Satire trat auch Franz Josef Strauß auf. Nachdem der Karikaturist Rainer Hachfeld mehrfach von dem CSU-Politiker verklagt worden war, zeichnete er ein Schwein mit den Gesichtszügen des Politikers, das einem zweiten Schwein in Richterrobe aufreitet. „Satire darf alles. Hachfeld auch?“, fragte die Bildunterschrift in der Zeitschrift „Konkret“. Zwar seien die Zeichnungen künstlerisch, ihr Aussagekern jedoch beleidigend, urteilten die Richter. Dieser besage nämlich, Strauß „empfinde an einer ihm willfährigen Justiz ein tierisches Vergnügen“. 5000 Mark betrug die Strafe. Politiker, Staat und Kirche hießen lange Zeit die Hauptgegner der Satire. Wie etwa die „Titanic“-Karikatur 1995 zum Papstbesuch die Kirchen in Wallung brachte, weil der Heilige Vater einem Schaf aufreitend gezeigt wurde, versehen mit der Schlagzeile: „Der Papst kommt!“ Auch als dieselbe Zeitschrift auf dem Titelblatt einen Heiland als Klorollenhalter zeigte und fragte, ob Jesus noch eine Rolle spiele, war die Aufregung in Kirchenkreisen groß.

Wiglaf Droste erfanddie „Waschbrettköpfe“

Die Bundeswehr wollte sich 1999 nicht nachsagen lassen, dass ihre Feldjäger „Waschbrettköpfe“ und „Kettenhunde“ seien, wie sie der Satiriker Wiglaf Droste bezeichnete. Im Prozess ging es um die Bedeutung des Wortes „Waschbrettköpfe“, das Droste gänzlich neu erfunden hatte. Aus der Verhandlung wurde ein Spektakel: Schriftsteller und Musiker schickten Interpretationen der Wortbedeutung an das Gericht. Verurteilt wurde Droste schließlich wegen des Kettenhund-Begriffs, der den Soldaten im Kontext der Satire das Menschsein abspreche, so die Richter.

Auch Sportler, Prominente und Firmen, die ihr Image wie eine kostbare Ware hüten, ziehen mit ihrer ökonomischen Potenz gerne vor Gericht. Die Firma Jägermeister verwahrte sich dagegen, dass Kinder ihr Getränk trinken, „weil mein Dealer zur Zeit im Knast sitzt“, wie es in einer Fake-Anzeige der „Titanic“ hieß. Eine Darstellung des Heilands als Recyclingprodukt, garniert mit dem Ausruf „Ich war eine Dose“, rief seltsamerweise nicht die Kirche auf den Plan, sondern das Informationszentrum Weißblech, welches offenbar juristisch für die Würde der Dosen eine Lanze zu brechen versuchte.

Und Jürgen Klinsmann wollte der „taz“ 2009 eine Osterfotomontage verbieten, die ihn im Stil des gekreuzigten Jesus mit der Überschrift „Always Look on the Bright Side of Life“ zeigte. Er sei in seinen Persönlichkeitsrechten und „in seiner religiösen Ausprägung auf das Massivste und Unerträglichste verletzt“, argumentierte Klinsmann. Aber das Gericht sah das anders: „Eine reale Kreuzigung des Antragstellers steht nicht im Raum“, erklärten die Richter. Auch werde nicht behauptet, Klinsmann sei in Wahrheit der Heiland. „Vielmehr wird der berufliche Niedergang des Antragstellers symbolisch dargestellt.“

Wer klagt, gewinnt vielleicht juristisch. Oft erfahren aber mehr Menschen erst durch die Klage von der Satire als durch die ursprüngliche Veröffentlichung. Der damalige Chef-redakteur des „Focus“ verklagte 1995 die Berliner Stadtzeitung „Zitty“ wegen einer Karikatur des Zeichners OL Schwarzbach, die unter dem Titel „Das wahre Gesicht des Helmut Markwort“ ein Strichmännchen am Schreibtisch mit einer Sprechblase zeigt, in der steht: „Ficken, Ficken, Ficken und nicht mehr an den Leser denken!“ Markwort klagte und bekam 15.000 Mark Schmerzensgeld. Daraufhin druckte „Titanic“ die Karikatur nach. Markwort klagte auf 60.000 Mark Schmerzensgeld und verlor. Und fast jeder kannte das Strichmännchen.


Der Autor ist Redakteur der Wirtschaftsredaktion und verfasste eine Diplomarbeit mit dem Titel „Satire vor Gericht. Grenzen der Kunst- und Meinungsfreiheit in der BRD“