Berlin .

Sigmar Gabriel hatte sich eine kleine Rede aufgeschrieben, die er vor Journalisten im Kanzleramt dann auch vortrug – über zehn Minuten lang. „In ein paar Jahren wird dieses Gesetz“, setzte der Vizekanzler an, „als der erste große Schritt zu einem modernen Einwanderungsgesetz gelten.“ Das stünde aktuell nicht auf der Agenda, „aber es bleibt aus unserer Sicht notwendig“.

Nicht nur dem SPD-Chef, auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war am Donnerstag feierlich zumute, als die Koalition das „Integrationsgesetz“ vorstellte. Großes Aufgebot: Pressekonferenz mit drei Parteichefs und drei Fachministern. Es ging um mehr als um eine Sachfrage – um die Rückkehr zur Normalität nach Monaten des Missmuts. Nun, da der Flüchtlingsstrom nach Deutschland gestoppt ist, beteuert Merkel: „Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass wir die Zusammenarbeit fortsetzen“. Dann zählte sie die „wesentlichen“ Beschlüsse auf: Neben dem Integrationsgesetz, das Gabriel so hoch hängte, ein Anti-Terror-Paket sowie eine Reihe von Projekten, die auf den Weg gebracht werden.

Hinter den Koalitionären lag ein langer und überaus anstrengender Abend. Merkel sah man es auch an. Die Kanzlerin wirkte blass, erschöpft und müde; ein einsames Jahr stand ihr ins Gesicht geschrieben. Einmal schien es, als habe die Regierungschefin gerade noch ein Gähnen unterdrückt, bei Gabriels Rede.

Als sie fertig waren, hatte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann um 01.11 Uhr getwittert, „50 Jahre nach dem Beginn der Einwanderung bekommt Deutschland jetzt ein Integrationsgesetz.“ Derweil ließ sich CSU-Chef Horst Seehofer von seinem engsten Mitarbeiter ausführlich schildern, wie der FC Bayern am Abend in der „Champions League“ in Lissabon gespielt hatte.

Anderntags ließ Seehofer noch die meiste Distanz erkennen, der Streit mit der Kanzlerin über die Flüchtlingspolitik schwelt weiter. Zart deutete der Bayer an, dass viele großkoalitionäre Werkstücke unfertig sind. „Ich denke, wir haben auch gestern Abend viel bewirkt für unser Land. Aber ich möchte nicht verschweigen, dass wir noch gigantisch viel zu tun haben bis zur Sommerpause“ , sagte Seehofer.


Integration: Fordern und Fördern
„Wer zu uns gehören will, wird nun bessere Möglichkeiten haben, sich zu integrieren“, erläuterte Gabriel die Philosophie des Integrationsgesetzes. Aus Bundesmitteln werden 100.000 Arbeitsgelegenheiten geschaffen, mutmaßlich Ein-Euro-Jobs, um die Flüchtlinge zu beschäftigen. Auch sollen sie jeweils an einem festgelegten Ort bleiben, müssen Deutsch- und Integrationskurse belegen. Nur dann verbessern sie ihre Bleibechancen, bewahren den Anspruch auf Sozialhilfe. Man kann es als Anreiz oder Strafe verstehen. Beides trifft zu.

Der Staat macht den Migranten viele Angebote. Er hat schon 5000 neue Deutschlehrer zertifiziert und verspricht die Wartezeiten für Kurse von drei Monaten auf sechs Wochen zu halbieren. Und wenn ein Flüchtling eine Lehrstelle hat, darf er künftig zum einen die Ausbildung beenden und zum anderen im Land bleiben, wenn er vom Betrieb übernommen wird. Bei einem Jobangebot darf die Agentur für Arbeit künftig auf die sogenannte Vorrangprüfung verzichten, wenn in der Region die Arbeitslosigkeit unterdurchschnittlich ist. Verzicht auf Vorrangprüfung heißt: Man sucht bei einer freien Stelle nicht länger, ob dafür ein deutscher Bewerber bereitstehen könnte.

Anti-Terror: Information als Waffe
Anti-Terror-Pakete kennt man zumeist als Gesetze mit schärferen Strafen. Das ist ausgereizt. Nach den Anschlägen von Paris und Brüssel fokussierte sich Innenminister Thomas de Maizière (CDU) darauf, den Informationsaustausch zu verbessern. Die Abfrage von Daten wird erleichtert und erstmals den Geheimdiensten erlaubt, mit ausländischen Partnern gemeinsame Dateien zu führen. Das ist eine neue Dimension. Es ist mehr als bisher üblich ist, als der bloße Austausch von Informationen. Per Gesetz werden diese internationalen Dateien aber auf die Nato-Staaten, EU-Partner, Norwegen, die Schweiz und Israel beschränkt. Telekom-Netzanbieter und Händler sollen verpflichtet werden, bei Nutzern von Prepaidhandys stets einen Pass mit vollständigen Adressdaten zu verlangen. „Für die Ermittler der Polizei ist es enorm wichtig, die Kommunikationswege mutmaßlicher Terroristen überwachen und auswerten zu können. Häufig nutzen Täter anonyme Prepaidtelefone, um ihre Taten vorzubereiten und sich vor der Polizei zu verstecken“, erklärte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow.


Die Hängepartien der Koalition
Bei der Erbschaftssteuer – ihre Reform ist eine Auflage des Verfassungsgerichts – sieht Seehofer noch Gesprächsbedarf: „Das haben wir gestern nicht in der Tiefe erörtert.“ Strittig ist etwa die Einbeziehung von privatem Vermögen bei Firmenerben. Die Förderung der Elektromobilität wird auf einen Gipfel mit der Autoindustrie am 26. April verschoben. Für Leiharbeit und Werkverträge darf Sozialministerin Andrea Nahles ihre Gesetzentwürfe einbringen. Im Klartext: Es geht allenfalls um Detailänderungen, nicht um „nennenswerte Probleme“ (Seehofer).

Mit den Tarifpartnern strebt die Koalition einen Dialog über eine Rentenreform an. Seehofer sagte, es bestehe „breiter Konsens, dass es hier Handlungsbedarf gibt“. Die Bekämpfung der Altersarmut sei „eines der ganz großen Themen“, meinte auch Merkel. Seehofer erklärte, man wäre schlecht beraten, schon zu Beginn der Gespräche so zu tun, als habe man eine Lösung „schon in der Westentasche“. Ihm, Merkel und Gabriel geht es um eine „Gesamtschau“. Der Blick geht wohl schon auf die Zeit nach der Bundestagswahl. Die nächste Regierung wird eine Rentenform vorlegen und, wenn Gabriel richtig liegt, dazu ein Einwanderungsgesetz.