Berlin.
Beim Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) unterliegen die Sicherheitsbehörden immer wieder Irrtümern. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Terrorgruppe anfangs falsch eingeschätzt, räumte jetzt dessen Präsident Hans-Georg Maaßen gegenüber der „Welt am Sonntag“ ein. So habe man es zunächst für unwahrscheinlich gehalten, dass der IS den Flüchtlingsstrom nutzen werde, um Anhänger nach Deutschland zu bringen.
„Wir dachten, das Risiko sei schlichtweg viel zu hoch. Mittlerweile wissen wir: Was den IS angeht, müssen wir eben auch dazulernen. Obwohl er es nicht nötig hätte, seine Leute unter die Flüchtlinge zu mischen, hat er es getan. Ich nenne das eine ,show of force‘ (Machtdemonstration)“, so Maaßen. Auch der Begriff Terror passe nicht zum „Islamischen Staat“, er verniedliche den IS. „Wir haben es vielmehr mit einer kriegerischen Auseinandersetzung zu tun.“
Ein großes Problem sei, dass etwa 70 Prozent der Flüchtlinge ohne gültige Pässe nach Deutschland kommen. Sie würden nur aufgrund ihrer eigenen Angaben registriert. „Ich habe die Sorge, dass wir und unsere Partnerdienste in unseren Datenbanken zwar Informationen über gefährliche Personen gespeichert haben. Uns könnte jedoch entgehen, dass sie bei uns sind, weil sie mit falschen Identitäten einreisen.“
Der Verfassungsschutzpräsident warnte erneut vor möglichen Terroranschlägen. Die Sicherheitslage sei „sehr ernst“. Erkenntnisse über konkrete Pläne für Anschläge gebe es derzeit zwar nicht. Der IS wolle aber auch Anschläge gegen Deutschland durchführen. „Dazu wird in der Propaganda ausdrücklich aufgerufen.“ Deutsche Städte würden im Zusammenhang mit Metropolen wie Paris, London und Brüssel genannt.
Das Potenzial islamischer Terroristen schätzt Maaßen hierzulande auf 1100 Personen. Zudem gebe es 8650 Salafisten. Und ihre Zahl steige täglich. So versuchten sie auch Flüchtlinge für ihre Sache zu gewinnen. „Viele Menschen seien ohne ihre Familien auf der Flucht. Sie hätten ihre Wurzeln verloren und suchten jetzt Anschluss beim täglichen Freitagsgebet. Wir haben bereits 300 Ansprachsversuche gezählt“, so Maaßen. Vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge würden gezielt angeworben. Hier sehe er „ein immenses Radikalisierungsproblem.“
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Burkhard Lischka mahnt angesichts der Bedrohungslage eine bessere europäische Kooperation an. „Von einer guten strukturierten Zusammenarbeit ist man hier noch Lichtjahre entfernt. Nationales Sicherheitsdenken bestimmt das Handeln, obwohl alle wissen, dass Terroristen international agieren und auf nationale Grenzen keine Rücksicht nehmen. Wir brauchen ein gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum, wo täglich strukturiert europäische Daten ausgetauscht werden.“ Dort sollten Vertreter aller nationalen Polizeibehörden und Nachrichtendienste die Gefahren gemeinsam analysieren. Auch die Daten von Fingerabdrücken müssten auf europäischer Ebene besser verknüpft und ausgetauscht werden. „Bislang pflegen nur fünf der 28 europäischen Länder ihre Daten bei Europol ein – das ist zu wenig“, sagte Lischka dieser Zeitung. Der Geheimdienst-Experte der Grünen, Konstantin von Notz, macht sich für eine bessere Integration der Flüchtlinge stark: „Wir wissen, dass es dem IS darum geht, Flüchtlinge bewusst zu diskreditieren. Dieser Strategie sollten wir klug begegnen. Zum Beispiel ist Familiennachzug die beste Prävention, wenn es stimmt, dass gerade die Alleinreisenden für Ansprachen so gefährdet sind.“