BERLIN.

Sein Credo ist einfach: „Es gibt für jeden das Recht, das zu essen, was er gewohnt ist.“ Folglich hält Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, überhaupt nichts von einer Einschränkung des Speiseplans an Schulen – auch nicht aus Rücksicht auf Muslime.

Hamburger Abendblatt: Herr Minister, was kommt bei Ihnen zu Ostern auf den Tisch?

Christian Schmidt: Meine mittelfränkische Heimat ist zwar eine Karpfenregion, aber zu Ostern essen wir immer Fleisch. Dieses Jahr wird es einen Lammbraten geben, das hat der Familienrat so entschieden.

Was müsste passieren, damit Sie Vegetarier werden?

Schmidt: Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich sage immer: Von allem etwas – und das in Maßen. Eine ausgewogene Ernährung ist die beste Ernährung.

Fast täglich liefern Ernährungsstudien neue Hiobsbotschaften für die Verbraucher. Aufklärung oder Panikmache?

Schmidt: Information ist wichtig – und drei von vier Deutschen interessieren sich auch für diese Studien, wie eine neue Umfrage im Auftrag meines Hauses zeigt. Mir fehlt allerdings die Übersetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in eine Alltagsbewertung. In Ernährungsstudien – selbst von namhaften Organisationen – spiegelt sich zu häufig wissenschaftliche Arroganz. Wir bekommen sie auf den Tisch geworfen, ohne sie selbst richtig einordnen zu können. Daher wird sich mein Ministerium verstärkt um die Übersetzung kümmern: Was bedeuten die Erkenntnisse konkret für mein Ernährungsverhalten? Wir werden auf Informationsportale im Internet setzen und eng mit den Verbraucherschutzverbänden zusammenarbeiten.

Die jüngste Aufregung löste eine Studie aus, die das Pestizid Glyphosat in den meistverkauften deutschen Biersorten nachgewiesen hat. Wie übersetzen Sie das?

Schmidt: Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Glyphosat-Studie des Münchner Umweltinstituts ein politisches Instrument sein sollte. Die Frage nach der Dosis ist natürlich auch bei diesem Unkrautvernichtungsmittel zu stellen. Man müsste 1.000 Liter Bier pro Tag trinken, damit die Spurenelemente von Glyphosat eine Gefahr für die Gesundheit wären. Im Bier ist Alkohol sicher das größere Problem. Ich rate den Verbrauchern, alle Ernährungsstudien mit großer Sorgfalt zu betrachten und den gesunden Menschenverstand zu nutzen. Mein Ministerium und die Verbraucherschutzverbände helfen bei der Einordnung.

Gleichzeitig wollen Sie das Haltbarkeitsdatum auf Lebensmittelverpackungen abschaffen. Wie passt das zusammen?

Schmidt: Es ist mein Ziel, die Nahrungsmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. 82 Kilo Lebensmittelabfall pro Kopf im Jahr sind deutlich zu viel. Die meisten Produkte sind erheblich länger genießbar, als auf den Verpackungen steht. Wir werfen massenweise gute Lebensmittel weg, weil die Hersteller zu große Sicherheitspuffer eingebaut haben. Bei Produkten wie Salz oder Zucker, die dauerhaft genießbar sind, muss heute schon kein Haltbarkeitsdatum mehr auf der Verpackung stehen, sondern nur noch das Herstellungsdatum. Für Nahrungsmittel, die irgendwann schlecht werden, möchte ich das Mindesthaltbarkeitsdatum zu einer qualifizierten Verbraucherinformation weiterentwickeln. Auf die Verpackungen von Milch oder Schinken soll ein echtes Verfallsdatum gedruckt werden, nach dem diese Produkte tatsächlich nicht mehr genießbar wären.

Das kann Deutschland nicht in eigener Verantwortung regeln.

Schmidt: Wir haben zusammen mit den Niederlanden eine Initiative in Brüssel gestartet. Die Überprüfung des Haltbarkeitsdatums ist auf der europäischen Tagesordnung, und ich mache dort Druck. Bei den zuständigen Kommissaren für Gesundheit und Landwirtschaft bin ich als hartnäckig bekannt. Ich gehe davon aus, dass in wenigen Monaten der Entwurf einer Richtlinie vorliegt. Allerdings werden diese Veränderungen beim Haltbarkeitsdatum nur eine Übergangslösung sein. Die Zukunft gehört der intelligenten Verpackung ...

... die wie aussehen soll?

Schmidt: In Verpackungen wie Joghurtbechern kann man elektronische Chips einbauen. Sie ermitteln, wie sich das Produkt von Tag zu Tag verändert. Eine Farbskala von Grün bis Rot zeigt an, wie es um die Verzehrbarkeit steht. Jeder kann dann selbst entscheiden, bis zu welchem Grad er das Nahrungsmittel noch verwenden will. Mein Haus fördert ein umfangreiches Forschungsprojekt mit zehn Millionen Euro, in dem es auch um intelligente Verpackung geht. Ergebnisse erwarten wir in etwa drei Jahren.

Werden Milch und Joghurt dann nicht viel teurer?

Schmidt: Das kommt auf die Umsetzung an. Das Bewusstsein der Verbraucher wächst, dass wir die Lebensmittelverschwendung bremsen müssen. Die Industrie wird ein Interesse daran haben, mitzuziehen, um die Ansprüche der Verbraucher zu befriedigen

Sie könnten auch bei der Bildung ansetzen.

Schmidt: Ohne Ernährungsbildung geht es nicht. Ich plädiere dafür, in allen Bundesländern ein Schulfach Ernährung zum festen Bestandteil der Lehrpläne für weiterführende Schulen zu machen – und die Schüler auch darin zu prüfen. In Fächern wie Biologie kommen Ernährungsfragen viel zu kurz. Die Lehrer müssen entsprechend ausgebildet werden. Ein interessanter Ansatz wäre auch die Beteiligung der Schul-Caterer. Auf dem Speiseplan für die Schülerinnen und Schüler könnten Lebensmittel stehen, die gerade auch im Unterricht behandelt werden.

Schul-Caterer und Kantinenbetreiber stellen sich darauf ein, dass es immer mehr Vegetarier und auch immer mehr Muslime in Deutschland gibt – und nehmen Schweinefleisch von ihrem Speiseplan. Unterstützen Sie das?

Schmidt: Ich nehme es mit Besorgnis wahr, dass Schweinefleisch in Schulen und Kantinen vom Speiseplan genommen wird. Unser Weg kann doch nicht sein, dass wir kulturelle Unterschiede bei der Ernährung mit der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner beantworten. Ich erwarte, dass die wachsende kulturelle Vielfalt zu einem größeren Angebot führt und nicht zu einem geringeren. Man kann die Verpflegung in Kitas und Schulen doch nicht allein an Kriterien wie „halal“ oder „koscher“ ausrichten – oder Schweinefleisch einfach vom Speiseplan streichen. Ja, ein vielfältiges Nahrungsangebot bedeutet einen höheren Aufwand. Aber wenn wir in unserer Gesellschaft den Respekt vor kulturellen Befindlichkeiten und Traditionen erhalten wollen, müssen wir uns dieser Mühe unterziehen.

Sie plädieren für ein Recht auf Schweinefleisch an deutschen Schulen?

Schmidt: Es gibt für jeden das Recht, das zu essen, was er gewohnt ist. Der Kompromiss kann nicht sein, dass jeder nur noch Salatblätter zu sich nimmt. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, nur noch den kleinsten gemeinsamen Nenner anzubieten, ist der Gesetzgeber gefordert. Aber ich vertraue darauf, dass schon die Diskussion darüber zu einer Umkehr dieses bedenklichen Trends führt. Dabei geht um mehr als um Schweinefleisch. Es geht um den Erhalt verschiedener Esstraditionen. Ich empfehle, dass wir uns am Motiv des Alten Fritz orientieren: Jeder soll nach seiner Façon selig werden.

Ein Bayer zitiert einen Preußen, das gibt es nicht oft.

Schmidt: Schon Franz Josef Strauß hat gesagt: Notfalls sind wir Bayern die letzten Preußen. (lacht)