Berlin.

Kein EU-Staat wurde stärker von Krisen gebeutelt als Griechenland. 2010 traf die Eurokrise das Land mit voller Wucht, seit dem vergangenen Sommer schlägt die Flüchtlingskrise durch. Mehrere Regierungen wurden bereits verschlissen. Und auch das gegenwärtige Kabinett des linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras steht schwer unter Druck.

Flüchtlingskrise

Der Ort Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze wurde zum Sinnbild des Flüchtlingselends. Wochenlang warteten bis zu 14.000 Menschen in einem Lager, das aus allen Nähten platzte. Die Hoffnung auf eine Weiterreise Richtung Norden – eine Illusion. Mit der Abriegelung der Balkanroute saßen die Flüchtlinge in Idomeni fest. Am Donnerstag und Freitag verließen allerdings rund 800 Migranten das Lager und zogen in Unterkünfte nahe Athen. „Wir müssen die Menschen überreden, in andere Lager zu gehen. Gewalt wollen und werden wir nicht anwenden“, sagte der griechische Bürgerschutzminister Nikos Tsokas.

Der Flüchtlingszustrom von der Türkei reißt jedoch nicht ab. Am Freitagmorgen kamen rund 900 Menschen von den Inseln Lesbos und Chios in der Hafenstadt Piräus an. Seit Beginn des Jahres erreichten insgesamt rund 140.000 Bootsflüchtlinge Griechenland. Und der Ansturm geht weiter.

Griechenland ist denkbar schlecht darauf vorbereitet. Athen quillt derzeit vor Schutzsuchenden über. Am Viktoria-Platz im Zentrum der Hauptstadt haben sich Hunderte Menschen mit Decken und Schlafsäcken eingerichtet und kampieren unter freiem Himmel. Im ganzen Land sind insgesamt mehr als 36.000 Migranten in Aufnahme- und Registrierlagern untergebracht. Damit sind die aktuellen Kapazitäten erschöpft. Die Athener Behörden und auch die EU-Kommission rechnen damit, dass in den kommenden Wochen mehr als 100.000 Flüchtlinge eine Unterkunft brauchen werden.

Trotzdem reagieren die Nachbarstaaten alarmiert. Vor allem Italien befürchtet, dass Flüchtlinge Ausweichstrecken zur geschlossenen Balkanroute suchen könnten. Dabei steht Albanien als Sprungbrett für eine Reise über das Mittelmeer im Fokus. Griechische Zeitungen berichten, dass in den kommenden Tagen italienische Polizisten ihren albanischen Kollegen bei der Sicherung der Grenze zu Griechenland helfen werden.

Eurokrise

Griechenlands Staatsschulden- und Wirtschaftskrise ist längst nicht ausgestanden. Die öffentliche Hand steht mit mehr als 300 Milliarden Dollar in der Kreide. Daran ändert auch ein Überschuss von gut drei Milliarden Euro für Januar und Februar nichts. Zumal in diesem Primärhaushalt die Darlehenskosten und die Etats von Sozialversicherungen und Kommunen noch nicht enthalten sind.

Die Wirtschaftskraft ist seit 2010 um rund 25 Prozent eingebrochen. Jeder vierte Grieche hat keinen Job. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt mehr als 50 Prozent. Im Sommer ist das Land nur haarscharf am Austritt aus der Eurozone wegen Zahlungsunfähigkeit („Grexit“) vorbeigeschrammt. Ein internationales Hilfspaket in Höhe von 87 Milliarden Euro hat der Regierung in Athen zwar eine Atempause verschafft – allerdings gegen strenge Reformauflagen. Die bitteren Pillen bestehen aus mehreren Maßnahmen: Rentenkürzungen, Steuererhöhungen, eine neue Steuerverwaltung sowie ein Treuhandfonds für Privatisierungen. Der stark aufgeblähte öffentliche Sektor zählte – mitsamt der damit verbundenen Lohn- und Pensionszahlungen – zu den Auslösern der griechischen Staatsschuldenkrise.

Insbesondere Einschnitte bei den Renten sowie höhere Abgaben haben im Februar für große Unruhen im Land gesorgt. Wochenlang löste eine Streikwelle die andere ab. Die Bauern, die Taxifahrer, die Angestellten des öffentlichen Dienstes traten in den Ausstand – bis hin zum Generalstreik.

Die Banken, die mitten im Strudel der Schuldenkrise stecken, haben bereits eine schmerzhafte Schrumpfkur hinter sich. Sie reagierten damit auf den radikalen Schwund ihrer Einlagen. Zahlreiche Griechen hatten satte Beträge ins Ausland überwiesen oder ihr Erspartes unter der Matratze gebunkert.

Seit vergangenem Dienstag sind die Geldgeber wieder in Athen. Die Vertreter der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und des Rettungsschirms ESM sollen die Reform- und Sparfortschritte der Regierung überprüfen, bevor weitere Kreditraten genehmigt werden können. Die griechische Regierung muss in diesem Jahr insgesamt 12,5 Milliarden Euro für den Schuldendienst aufbringen, die sie nicht hat.

Regierungskrise

Die Links-Rechts-Koalition von Ministerpräsident Tsipras steht auf sehr wackligen Beinen. Sie verfügt zudem nur über eine hauchdünne Mehrheit von 153 der 300 Mandate. Insbesondere die Rentenkürzungspläne sind umstritten. Tsipras zahlt nun einen hohen Preis für seine 180-Grad-Wende vom antikapitalistischen Rebellen zum Reformer wider Willen. Ohne Einsparungen bekommt er keine neuen Kredite von EU-Institutionen und IWF. Wie lange die griechische Bevölkerung diese schmerzhafte Medizin schluckt, ist die große Frage.

Nikos Vlachakis, Pressesprecher der griechischen Botschaft in Berlin, hat im Interview mit dieser Zeitung zumindest einen kleinen Trost parat: „Die wirtschaftliche Lage ist sehr schwierig“, sagt er. „Aber an der sozialen Front ist es ruhiger als befürchtet.“