Berlin .

Die Bilder waren übermächtig: In den Tagen nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami am 11. März 2011 ereignen sich im Kernkraftwerk Fukushima mehrere schwere Explosionen. Später stellt sich heraus, dass es in drei Kraftwerksblöcken zu Kernschmelzen gekommen ist, weil die Flutwelle das Notkühlsystem außer Kraft gesetzt hat. In Deutschland handelt die Bundesregierung angesichts der Katastrophe in Fernost sofort: Schon am 14. März beschließt das Kabinett von Angela Merkel (CDU), die acht ältesten deutschen Atommeiler innerhalb weniger Tage vom Netz nehmen zu lassen. Im Juni folgt ein Gesetz, dass die im Jahr zuvor verlängerten Laufzeiten für die restlichen neun moderneren Anlagen stark verkürzt. Fünf Jahre beschleunigter Atomausstieg: Zeit für eine Bilanz.


Welche Kernkraftwerke sind noch am Netz?

Derzeit sind noch acht Kraftwerksblöcke in Betrieb, davon drei in Bayern und zwei in Baden-Württemberg. Als erste moderne Bauart ist vorigen Sommer die Anlage im bayerischen Grafenrheinfeld abgeschaltet worden. 2017 und 2019 muss jeweils ein weiteres Kraftwerk vom Netz, 2021 und 2022 jeweils drei.


Hat der Atomausstieg zu höheren

Strompreisen geführt?

Im Gegenteil, die Strompreise im Großhandel sind seit dem Ausstieg fast durchgängig gefallen. Trotz der vom Netz gegangenen Meiler gibt es in Deutschland noch zu viele Kraftwerke, sie verderben sich gegenseitig die Preise. Allerdings: Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird auf die Stromrechnung als sogenannte EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz) aufgeschlagen. In der Summe verursacht die Energiewende höhere Kosten für die Verbraucher. Umweltverbände weisen aber darauf hin, dass Umweltschäden und Risiken der Stromerzeugung aus Kohle, Gas und in Kernkraftwerken nicht ausreichend berücksichtigt sind.


Ist der Ausstieg rechtlich
abgesichert?

An der Abschaltung der Anlagen wird sich nichts ändern, sie steht fest. Es laufen jedoch rund 30 Gerichtsverfahren gegen Bund und Länder, in denen es um Schadensersatz geht. Die vier Betreiber Eon, RWE, Vattenfall und EnBW wehren sich unter anderem gegen die Sofortabschaltung, die keine ausreichende gesetzliche Grundlage hatte, wie ein Gericht bereits feststellte. Auch für die Laufzeitverkürzung wollen sie Geld. Vattenfall als schwedischer Auslandsinvestor klagt vor einem internationalen Schiedsgericht. Insgesamt geht es um mehr als 20 Milliarden Euro, die aus der Staatskasse bezahlt werden müssten. Kein Fall ist bislang abgeschlossen, in ersten Verfahren deutet sich aber an, dass die Entschädigungen deutlich geringer als von den Konzernen gefordert ausfallen werden.


Wie geht es für die Energiekonzerne
weiter?

Alle vier Betreiber stecken in einer tiefen Krise, schreiben regelmäßig rote Zahlen und haben Zehntausende Stellen abgebaut. Der Atomausstieg hat Spuren hinterlassen. Doch die Versorger haben es auch versäumt, ausreichend in die staatliche geförderten erneuerbaren Energien zu investieren, die inzwischen rund ein Drittel des Strombedarfs decken. Die Manager haben das Problem inzwischen erkannt, aber es ist eine offene Frage, ob es ihnen noch gelingt, erfolgreich umzusteuern. Der Handlungsspielraum ist angesichts der leeren Kassen gering.

Wer bezahlt die Abwicklung der Kernkraft?
Bislang ist die Lage klar: Für den Abriss der Kernkraftwerke und die Lagerung des strahlenden Mülls müssen die Betreiberkonzerne aufkommen – und zwar noch jahrzehntelang. Schon der Abriss eines Atomkraftwerks kann deutlich länger als zehn Jahre dauern. Viele Bauteile strahlen am Anfang sehr stark. Die Atomkonzerne sind verpflichtet, dafür Geld beiseitezulegen, sogenannte Rückstellungen, die sich zuletzt auf knapp 40 Milliarden Euro beliefen. Dieses Geld liegt jedoch nicht in einer sicheren Kasse, sondern ist von den Konzernen investiert worden, sie grenzen es lediglich in der Bilanz als Verschuldung ab. Das heißt: Gehen die Konzerne pleite, müsste der Staat einspringen. Angesichts der prekären Lage der Energiekonzerne herrscht in Berlin die Befürchtung, dass dieser Fall eintreten könnte. Externe Gutachter haben die Höhe der Rückstellungen überprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sie in einem günstigen Fall ausreichen, die Kosten aber auch deutlich höher ausfallen könnten.
Welche Rolle soll dabei der Staat
übernehmen?

Darüber verhandelt gerade eine Regierungskommission, die unter anderem von Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) geleitet wird. Aus Verhandlungskreisen ist durchgesickert, dass die Kraftwerksbetreiber weiter die Verantwortung für den Abbau der Kernkraftwerke behalten, aber das Geld für die Zwischen- und Endlagerung an einen Staatsfonds abtreten. Im Gegenzug haften sie dann aber nicht mehr endlos. Das ergibt aus Sicht beider Seiten Sinn: Die Endlagerung ist eine kaum abschätzbare Aufgabe, die sehr teuer werden und die Konzerne überfordern könnte. Wenn sie pleitegehen, ohne vorher einen Teil ihrer Rückstellungen abgegeben zu haben, muss der Staat die Kosten tragen. Die Atomkonzerne sind im Gegenzug von einem unkalkulierbaren Risiko befreit, das gefällt den Geldgebern.

Steht fest, wo der Atommüll endgültig gelagert wird?
Nein, die Endlagersuche ist eine scheinbar endlose Aufgabe. Deutschland will seinen Atommüll nicht exportieren. Etwa 30.000 Kubikmeter hoch radioaktives und 300.000 Kubikmeter schwach bis mittel strahlendes Material müssen für eine Million Jahre in Deutschland unter Tage sicher verschlossen werden, gleichzeitig aber rückholbar sein. In den 80er-Jahren wurde entschieden, den Salzstock Gorleben als Endlager zu nutzen. Doch davon wurde nach wissenschaftlichen Bedenken und Protesten abgerückt. Nun beginnt die Suche von vorne. Gestern gab die dafür zuständige Kommission bekannt, sich auf Grundsätze bei der ergebnisoffenen Endlagersuche geeinigt zu haben. Bis Juni soll ein Vorschlag vorliegen. Nach den Kriterien kommen rund 60 Standorte in Betracht. Die Suche soll bis 2031 andauern, erst danach würde gebaut. Der Atomausstieg, beschlossen innerhalb weniger Tage, ist also eine Aufgabe für viele Jahrzehnte.