Fukushima .

Auf der Rikuzenhama-Straße beginnt das Strahlenmessgerät heftig auszuschlagen. „Wenn schon so viel durch das Blech am Boden des Autos durchkommt, dann muss einiges auf der Fahrbahn kleben“, sagt Yoichi Ozawa. Kein Wunder – die Straße läuft hier in zwei Kilometern Entfernung am havarierten Kraftwerk Fukushima Daiichi vorbei. „Der Verkehr von den Reaktorruinen hierher nimmt offenbar einiges an Verschmutzung mit“, spekuliert Ozawa. Vor allem das Gerät zur Messung von Betastrahlen beginnt einige hundert Meter nach der Abzweigung zum Kraftwerk wild zu knacken. „Eigentlich sollte das hier abgesperrt sein“, sagt Ozawa.

So ähnliche Sätze sagt Ozawa oft: „Hier dürfte eigentlich keiner wohnen“ – „Kriminell, dass hier schon bald wieder Kinder spielen sollen“. Der 60-Jährige ist Mitglied des „Fukuichi-Strahlenüberwachungsprojekts“, einem Verein, der auf eigene Faust die Kontamination in der Nähe des Kraftwerks misst. Mitte März 2011 hatte sich eine Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall ereignet. Die engagierten Bürger liegen über Kreuz mit der Regierung, die in der Region mit aller Macht den Anschein von Normalität erwecken will. Offizielle Messungen ergeben meist niedrige Werte für radioaktive Verschmutzung. Die Behörden lassen mit dieser Begründung die umliegenden Ortschaften wie Minami-Soma oder Iitate wieder zur Besiedlung freigeben.

Die Regierung legt die Annahme zugrunde, dass die Bewohner sich zumeist in geschlossenen Räumen aufhalten. „An Kinder, die draußen spielen und sich die Hände mit strahlendem Dreck verschmieren, und dann damit Süßigkeiten in den Mund stopfen, denken diese Leute nicht“, sagt Ozawa. Für ihn ist klar, warum die offiziellen Stellen so viel Druck machen: Je länger die Bewohner die übliche Entschädigung von rund 1000 Euro im Monat erhalten, desto länger liegen sie dem Staat auf der Tasche.

Premier Shinzo Abe hat wohl noch ein zusätzliches Motiv, schnell den Anschein von Normalität zu erwecken: In vier Jahren richtet Tokio die olympischen Spiele aus. Bis dahin soll alles in Ordnung sein. Viele der Bewohner der betroffenen Ortschaften brennen zudem tatsächlich darauf, in ihre angestammten Häuser – und damit in ihre Heimat – zurückzukehren. Sie haben das Leben in seelenlosen Wohnungen in der Großstadt satt. Viele von ihnen sind Bauern, die wieder ihre Felder bestellen wollen.

Reis aus Fukushima ist nach offizieller Einschätzung uneingeschränkt zum Verzehr geeignet. Auch in der Umgebung des Kraftwerks produzieren die Bauern längst wieder Lebensmittel.