Brüssel . Nach dem Deal mit Ankara zur Eindämmung der Flüchtlingskrise herrscht in Brüssel erst Erleichterung, dann Ernüchterung. Nun bleibt der Gemeinschaft noch gut eine Woche

Thomas de Maizière ist leicht genervt. Was hält der Bundesinnenminister von der Kritik an der Migrationspartnerschaft mit den Türken? „Es gibt ja nichts bei dem schwierigen Flüchtlingsthema, was nicht irgendwie kritisiert wird. Allerdings – mit Kritik kommt man nicht voran, sondern mit konkreten Ergebnissen!“ Die müssen her bis zum 17. und 18. März, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs die Vereinbarung mit den Türken besiegeln wollen. Die gestrige Sitzung der EU-Innen- und Justizminister in Brüssel zeigte: Der Weg ist mit kritischen Fragen gepflastert.

EU-Ratspräsident Donald Tusk stichelt gegen Kanzlerin Angela Merkel

Es knirscht bis hinauf in die Chefetage. EU-Ratspräsident Donald Tusk lobt per Twitter den Abschottungskurs der Westbalkan-Länder – eine Stichelei gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf offenen Grenzen beharrt. Griechenlands Premier Tsipras, derzeit EU-Hauptverbündeter der Kanzlerin, keilt zurück: „Wenn die EU so weiter macht, hat sie keine Zukunft!“ Luxemburgs Außenminister Asselborn ist besorgt: Man müsse „alles tun, damit Herr Tusk und auch Frau Merkel sich noch wohlfühlen in dem Verein, der sich Europäische Union nennt“.

Voraussetzung wäre die Verständigung mit Ankara. De Maizière gehört zu denen, die in dem Gipfel-Arrangement den Schlüssel sehen, um den Flüchtlingsansturm aus dem Osten nachhaltig zu drosseln. Zunächst haben Österreich und seine südlichen Nachbarn für Rückgang gesorgt, indem sie die Grenzen dicht machten.

Die Zahl der Ankömmlinge in der Bundesrepublik ist gegenüber dem Herbst auf weniger als ein Zehntel gefallen. In den vergangenen Tagen hat die Bundespolizei nur noch wenige einreisende Flüchtlinge registriert. Am Montag waren es 196, am Dienstag 162 und am Mittwoch 125. Zum Vergleich Anfang des Jahres registrierte die Bundespolizei noch 3000 Migranten pro Tag. Österreichs Innenministerin Mikl-Leitner ist weniger überzeugt. Wenn die türkische Regierung erst eine kritische Zeitung schließe, dann eine Wunschliste präsentiere und schließlich von der EU mit Visafreiheit im Schnellverfahren belohnt werde, „dann stelle ich mir schon die Frage, ob wir unsere Werte über Bord werfen!“ De Maizière sieht hingegen „gewisse Aussicht“, dass die Türkei das selbst gesteckte Ziel erreiche und bis Mai die Kriterien für die Aufhebung des Visumzwangs erfülle.

Wachsende Skepsis gilt dem Angebot der Türkei, aus Griechenland irregulär eingereiste Flüchtlinge zurückzunehmen, wenn die EU im Gegenzug Syrer aus der Türkei aufnimmt. Wer wählt die Leute aus? Welche Kriterien gelten? Was ist mit den anderen? Seine Regierung habe das gleich befremdlich gefunden, berichtet Schwedens Justizminister Johansson, jetzt schlössen sich weitere an. Für den niederländischen Sitzungsleiter Dijkhoff ist der „1:1-Austausch“ nur Übergangslösung. Man brauche einen ständigen Verteilmechanismus. Davon sind die EU-Staaten jedoch weiter entfernt denn je.

Streit über die europaweite Verteilung der Migranten ist garantiert

EU-Migrationskommissar Avramopoulos will 6000 Personen monatlich auf die Mitgliedstaaten verteilen. Bislang hat das Verfahren aber erst bei 885 Ankömmlingen funktioniert. „Streit über Lastenverteilung auf dem bevorstehenden EU-Gipfel ist sicher“, prophezeit ein EU-Diplomat. Die dringendste Sorge der Innenminister ist das Flüchtlingselend an der griechisch-mazedonischen Grenze. Mikl-Leitner: „Da sind 35.000 Menschen zu versorgen. Das ist machbar.“ Brüssel stellt in diesem Jahr 464 Millionen Euro für Sondermaßnahmen im Zuge der Flüchtlingskrise zur Verfügung.