Berlin. Streit zwischen deutschen Ministerien verhindert Zustimmung zur Verlängerung der EU-Zulassung von Glyphosat

Beate Kranz

Mit Widerstand hatte eigentlich niemand gerechnet. Selbst kritische Umweltverbände wagten nicht zu hoffen, dass sich die EU gegen die Interessen der Chemieindustrie stellen würde. Und dann kam es überraschend doch anders. Ein Expertenausschuss der EU-Kommission vertagte am Dienstag die Entscheidung darüber, ob das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat für weitere 15 Jahre angewendet werden kann. Damit ist der Wirkstoff, dessen Zulassungszeit im Juni in Europa ausläuft, zwar noch nicht verboten, doch über den Einsatz des gesundheitlich höchst umstrittenen Mittels wird auf politischer Ebene erstmals gerungen.

Glyphosat ist weltweit das am häufigsten eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel. Rund 700.000 Tonnen werden jedes Jahr auf Feldern und Gärten eingesetzt – davon 6000 Tonnen in Deutschland. Der Landwirtschaft hilft es seit den 1970er-Jahren, störendes Unkraut im Boden zu eliminieren, bevor die neue Saat ausgebracht wird. Für die Industrie ist der Stoff ein Milliardengeschäft, gerade für den Erfinder, den US-Konzern Monsanto.

Die deutsche Enthaltung war in Abstimmung entscheidend

Glyphosat ist vor allem wegen seiner möglichen Gesundheitsrisiken umstritten. Während die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Stoff als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft, sehen deutsche Behörden wie das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) oder das Umweltbundesamt „keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier“ – zumindest nicht bei sachgerechter Anwendung. Zwei Haltungen, die sich unvereinbar gegenüberstehen und in der Bevölkerung für Unsicherheit sorgen.

Warum die EU ihre Entscheidung nun vertagte, ist unklar. Eine offizielle Begründung blieb der Ausschuss gestern schuldig. Doch offenbar wollte die Kommission eine Schlappe in der Frage verhindern. Nach Informationen dieser Zeitung soll es bei einer Probeabstimmung in dem entscheidenden EU-Ausschuss unter den 28 Mitgliedstaaten drei Gegenstimmen gegeben haben – aus Frankreich, Italien und den Niederlanden. Dazu gab es sieben Enthaltungen – darunter auch aus Deutschland. Für eine Verlängerung der Zulassung des Unkrautmittels bis zum Jahr 2031 wäre eine qualitative Mehrheit notwendig gewesen. Dabei werden die Stimmen nach der Einwohnerzahl der EU-Länder gewichtet.

Damit ist klar: Neben den Neinstimmen hat nicht zuletzt die Enthaltung Deutschlands ein Durchwinken der Neuzulassung von Glyphosat verhindert. Grund für die Enthaltung ist ein Streit zwischen dem Bundeslandwirtschafts- und dem Bundesumweltministerium. Während sich Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) auf das Urteil der deutschen Behörden stützt, die nichts gegen eine sachgerechte Anwendung von Glyphosat einzuwenden haben, sieht seine Umweltkollegin Barbara Hendricks (SPD) in dem Wirkstoff eine Gefahr für „die biologische Vielfalt“.

Aus Hendricks Sicht muss der Einsatz auf ein vertretbares Maß reduziert werden. Glyphosat dürfe nur in deutlichem Abstand zu Gewässern eingesetzt und die Bauern müssen verpflichtet werden, Ausgleichsflächen zu schaffen. Auf eine gemeinsame Haltung konnten sich die beiden Ministerien jedoch bis zum Schluss nicht einigen, sodass sie sich bei einer Abstimmung im Ausschuss hätten enthalten müssen.

Entsprechend unterschiedlich reagieren die Ministerien auf die EU-Vertagung. „Ich begrüße, dass die Entscheidung zu Glyphosat vertagt worden ist. Eine einfache Wiederzulassung dieses Pflanzengifts kann es meiner Meinung nach nicht geben“, sagte Hendricks dieser Zeitung. „Dass sich Glyphosat negativ auf den Naturhaushalt und die Artenvielfalt auswirkt, ist eindeutig belegt. Wenn der Stoff wieder zugelassen werden soll, muss der Schutz der biologischen Vielfalt berücksichtigt werden.“

Das Landwirtschaftministerium reagierte dagegen neutral: „Wir haben die Entscheidung der EU-Kommission zur Kenntnis genommen.“

Alle Staaten haben nun Zeit, der EU neue Vorschläge zu unterbreiten, unter welchen Bedingungen sie einer Zulassungsverlängerung zustimmen könnten. Die nächsten Ausschusssitzungen finden Mitte März und im Mai statt. Bis dahin wollen sich auch die beiden deutschen Ministerien auf einen weiteren Umgang mit dem Herbizid einigen. „Wir werden auf Basis der dann vorliegenden Informationen eine Ressortabstimmung im Rahmen der Bundesregierung durchführen“, sagte ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums.

Für Deutschland ist die gespaltene Haltung innerhalb der Ministerien besonders brisant, da die Bundesrepublik in dem Verfahren der berichterstattende Mitgliedsstaat ist und für alle Länder eine Verlängerung prüfen muss.

Der Meinungswandel und die Skepsis der Staaten in dem Verfahren kamen wiederum erst kurz vor der für gestern geplanten Abstimmung zutage. Nachdem sich Schweden bereits frühzeitig gegen Glyphosat öffentlich ausgesprochen hatte, kamen nun Frankreich, Italien und die Niederlande als offizielle Gegner hinzu. So schloss sich Frankreichs Umweltministerin Ségo­lène Royal dem Urteil ihrer nationalen Krebsforschungsorganisation ANSES an, das eine Krebsgefahr von Glyphosat nicht ausschließen wollte.

Aber auch in Deutschland geriet Glyphosat zuletzt zunehmend in die Schlagzeilen. Zunächst sorgte eine Studie über Rückstände des Stoffs in mehreren Biersorten für Aufregung. Die Spuren wurden in geringen Mengen nachgewiesen. Nach Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) hätte man jedoch mindestens 1000 Liter Bier am Tag trinken müssen, damit die Spuren gesundheitsschädlich wirken. Eine Menge, die selbst hartgesottene Alkoholiker kaum schaffen. Kurz darauf folgte eine Untersuchung von rund 2000 Urinproben aus der Bevölkerung. In praktisch allen Fällen – nämlich 99,6 Prozent – wurde Glyphosat gefunden, insbesondere bei Kindern, Männern und Landwirten.

Umweltschützer fordern Wandel in der Landwirtschaft

Ob Politiker oder Bürger in Europa: Viele wünschen sich über die gesundheitlichen Folgen mehr Klarheit. In den nächsten Wochen werden weitere Studien wichtiger Forschungsinstitutionen erwartet – wie eine Einschätzung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA). In Europa gilt schließlich das Prinzip der Vorsorge.

Umweltschützer reagieren entsprechend positiv auf die Vertagung. Die Umweltorganisation Greenpeace forderte einen „grundsätzlichen Wandel in der Landwirtschaft“. Die Verbraucherschützer von Foodwatch verweisen auf die unklaren Gesundheitsgefahren: „Solange die wissen-schaftlichen Zweifel an der Sicherheit von Glyphosat nicht widerlegt sind, darf auch keine Zulassung erteilt werden.“

Natürlich bedeute das Verschieben noch lange kein Ende für Glyphosat, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Harald Ebner: „Aber es gibt uns potenziell die notwendige Zeit, weitere wichtige Einschätzungen zur Gesundheits- und Umweltgefahr des Pflanzenvernichters abzuwarten.“