Berlin.

„Haben Sie das mal erlebt, dass Männer in den Unterkünften Frauen Geld für Sex anbieten?“ Die Frage richtet sich an Amal, 27 Jahre alt, geboren in Somalia. Zwei Jahre lang hat sie in deutschen Flüchtlingsheimen gelebt. „Man sieht das jeden Tag“, sagt sie. Und wer macht das? Werden die Frauen von anderen Flüchtlingen bedrängt? Oder auch von Sicherheitsleuten, Betreuern oder Heimleitern? „Von allen.“ Amal will ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen, aber sie will auch nicht schweigen: Sie arbeitet heute für die Selbsthilfegruppe „Women in Exile“ – und spricht über Dinge, über die andere geflohene Frauen sich nicht zu sprechen trauen.

Flüchtlingsheime sollen Schutzräume sein – doch für viele Frauen sind sie gleichzeitig Angsträume. „Wir müssen davon ausgehen, dass sexuelle Übergriffe und Grenzverletzungen in allen Flüchtlingsunterkünften passieren“, sagt Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung. Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte hat vor Kurzem in einer Umfrage in 28 Flüchtlingsheimen in Brandenburg nach Fällen von Gewalt gegen Frauen gefragt. „In allen war es ein Thema.“

Wie Rörig fordert auch Rabe bundeseinheitliche Sicherheitsstandards für Unterkünfte. Bislang hängt es jedoch von den Heimleitern, den Betreibern, den Kommunen und den Ländern ab, ob und wie zuverlässig Frauen geschützt werden. Die Grünen kritisieren das: Die Bundesregierung habe mit dem Asylpaket II den schon verabredeten Gewaltschutz für Frauen und Mädchen gekippt, sagt Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Die Grünen fordern Mindeststandards wie abschließbare Toiletten, getrennte Duschen und getrennte Gemeinschaftsräume in den Unterkünften. Das Bundesfamilienministerium will immerhin noch im März ein 200 Millionen Euro schweres Kreditprogramm für die Kommunen starten, um die Schaffung und den Umbau von Flüchtlingsunterkünften zu fördern und somit den Schutz für Frauen und Kinder besser zu gewährleisten.

Wer sich in diesen Tagen, kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März, umhört, stößt jedoch noch auf ein anderes Problem: Viele Frauen trauen sich gar nicht, über Übergriffe zu sprechen. Was in den Duschräumen passiert oder nachts auf den Fluren oder sogar in den Zimmern – es bleibt oft im Dunklen, weil die Opfer schlicht Angst haben: Sie scheuen davor zurück, mit Fremden, womöglich mithilfe von männlichen Dolmetschern, über schamvolle Erlebnisse zu reden.

Familienministerin Schwesig will jetzt zusammen mit Wohlfahrtsverbänden Stellen für zusätzliche Ansprechpartner in den Unterkünften finanzieren, die die Arbeit von Beratungsstellen, Frauenhäusern und Ämtern koordinieren und das Personal schulen sollen. Zunächst gibt es jeweils 40.000 Euro für insgesamt 25 Stellen. Die Malteser, die bundesweit 60.000 Flüchtlinge betreuen, setzen bereits jetzt auf mehrheitlich weibliches Personal und Schulungen für die Hauptamtlichen. „Wir können Symptome früh erkennen“, sagt Matthias Nowak vom Malteser Hilfsdienst. „Bei uns trauen sich die Frauen zu reden.“

Polizei wegen häuslicher Gewalt in Flüchtlingsunterkunft gerufen

Nachprüfen lässt sich das nicht. Denn: Etliche geflüchtete Frauen glauben, es sei besser zu schweigen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. „Viele denken, das hätte negative Folgen für ihr Asylverfahren“, sagt die Berliner Rechtsanwältin Inken Stern. „Sie wollen nicht auffallen, sie wollen nicht unbequem sein.“ Eine Frau, die von ihrem Ehemann gequält wird, sorge sich um ihre Asylchancen, sollte ihr Mann verurteilt und abgeschoben werden.

Hinzu kommt bei vielen das aus Erfahrung große Misstrauen gegenüber staatlichen Stellen. „Auch Heimleiter, Ehrenamtler oder Sicherheitsleute können sehr mächtig sein.“ Und es kommt vor, dass sie ihre Macht missbrauchen. Stern kritisiert deshalb, dass es keine unabhängigen Beschwerdestellen gibt. Amal, die vor sechs Jahren nach Deutschland kam, sagt trocken: „Wenn mich der Heimleiter bedroht, zu wem soll ich denn gehen?“

Christiane Wahl ist selbst Heimleiterin in einer Gemeinschaftsunterkunft in Berlin. Ein ehemaliges Altenheim, in dem jetzt über 200 Flüchtlinge wohnen. Dreimal hat sie in den letzten Monaten die Polizei gerufen, „wegen häuslicher Gewalt“. Sie meint: Fälle, in denen Ehemänner ihren Frauen Gewalt antaten. Zweimal endete die Sache mit einem Hausverbot. Wahl sind solche Signale wichtig: Die energische Frau mit der burschikosen Kurzhaarfrisur will, dass Frauen sich in ihrem Haus sicher fühlen.

Zwei, die das tun, sind die Schwestern Zahra, 30, und Samah, 22, die mit Zahras kleiner Tochter aus dem Irak gekommen sind. Zwei junge Frauen, die allein über die Balkanroute nach Deutschland gefunden haben. Eine geschiedene Juristin, eine junge Studentin, ein kleines Kind: im Boot über die Ägäis von der Türkei nach Griechenland, dann zu Fuß durch Mazedonien. An der serbischen Grenze verlieren sie sich eine Nacht lang aus den Augen, dann geht es weiter mit dem Zug, über Ungarn, Österreich, bis nach Passau und weiter nach Berlin. Sie schlafen am Straßenrand, eine bleibt immer wach. „Ohne Mann war es sehr schwer“, sagt Samah. Auch in der Erstaufnahmeunterkunft. „Aber ich bin sehr mutig. Und seit ich es geschafft habe, habe ich vor nichts mehr Angst.“ Samah strahlt. Am Ende waren sie 28 Tage lang unterwegs. „Sie hatten einen Schutzengel“, sagt Heimleiterin Wahl. Und dann, nach einer Pause: „Vielleicht erzählen sie aber auch manche Sachen nicht.“