Berlin.

Wenn der Bundestag am heutigen Donnerstag über das Asylpaket II abstimmt, ist die Fortsetzung schon angelegt. Im nächsten Paket wird es weniger um die Begrenzung der Flüchtlinge und mehr um ihre Integration gehen. Dazu sollen sie verpflichtet werden, an einem zugewiesenen Ort zu wohnen. Die meisten Länder und der Bund sind dafür – Innenpolitiker ebenso wie die Staatsministerin für Integration, Aydan Özoguz (SPD).

Ihnen geht es darum, Parallelgesellschaften und Gettobildung zu vermeiden, sowohl die Menschen besser zu integrieren als auch die Metropolen zu entlasten. Der jetzige Zustand überfordere die Städte, weil „die Mehrheit der Flüchtlinge unmittelbar nach ihrer Anerkennung in die großen Ballungszen­tren zieht“, wie Özoguz dieser Zeitung erklärte. „Eine befristete Wohnsitzauflage könnte hier für etwas Entspannung sorgen“, fügte sie hinzu.

Wer einen Job hat, wird von derResidenzpflicht ausgenommen

Die SPD-Politikerin legte die Messlatte allerdings hoch. Wenn, dann müsse gewährleistet sein, dass die Flüchtlinge an ihrem Wohnort auch Ausbildung oder Arbeit angeboten bekämen. „Es wäre aber fatal, wenn die Auflage dazu führen würde, dass wir Schutzberechtigte zum Nichtstun verdonnern“, warnte Özoguz.

Die Neuankömmlinge bleiben oft nicht in dem Bundesland, das sie als Erstes aufgenommen hat. Sie ziehen auf eigene Faust los, mitunter gleich auf der Fahrt zum Erstaufnahmelager. Sie drängen in die Ballungsräume, dorthin, wo sie zumeist schon jemanden kennen. So zieht einer den anderen nach. Ein Beispiel ist Hamburg, wo auffällig viele Afghanen leben. Die Iraker sind in Hannover und im Großraum Köln stark vertreten, Iraner darüber hinaus in Berlin, Pakistaner im Rhein/Main-Gebiet, Syrer wiederum in Berlin und im Ruhrgebiet.

Derzeit können die Asylsuchenden für sechs Monate verpflichtet werden, in der Erstaufnahmeeinrichtung zu bleiben. Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten – Ghana, Senegal, Albanien, Serbien, Kosovo, Montenegro, Mazedonien, Bosnien – sollen laut Asylpaket II in gesonderten Aufnahmezentren bleiben. Ihre Asylanträge werden meist als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt; aus Aufnahmezentren heraus fiele ihre Abschiebung leichter.

Sobald ein Flüchtling anerkannt ist, kann er bisher dort leben, wo er möchte. Weil aber eine Gettoisierung droht, hält der Vorsitzende des Innenausschusses, Ansgar Heveling (CDU), eine Wohnsitzauflage für „sinnvoll“. Eine Residenzpflicht würde er Flüchtlingen auferlegen, „die kein eigenes Einkommen haben und solange sie Sozialleistungen beziehen“, wie er unserer Zeitung erläuterte. Vom Innenministerium liegt noch kein Gesetzentwurf vor. Die Beamten haben nur die Fragen aufgeschrieben, die geregelt werden müssten – ein sogenanntes Lastenheft. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka verweist darauf, dass nächste Woche ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Wohnsitzzuweisung ansteht. Diese Entscheidung will Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erst abwarten.

Eine Wohnsitzauflage gab es 1996 für die Spätaussiedler. Sie hat nach Lischkas Ansicht „Gettoisierung verhindert und Integration gefördert“. Das lasse sich daran ablesen, dass die Erwerbstätigenquote dieser Gruppe mit 76,5 Prozent deutlich über jener der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund liege. Vor der Sommerpause könnte de Maizière einen Gesetzentwurf vorlegen, über den der Bundestag bis Ende des Jahres entscheiden würde. Weil die Residenzpflicht ein klarer Eingriff in die Freizügigkeit wäre, würde de Maizière die Auflage auf maximal drei Jahre befristen und jeden Flüchtling davon ausnehmen, der für den eigenen Lebensunterhalt aufkommt. Der Entzug von Sozialhilfe wäre die wahrscheinlichste Strafe: Wer nicht geht, kriegt kein Geld.

Zurzeit prüfen die Juristen, ob eine Residenzpflicht nur für neue Fälle gelten darf oder auch für diejenigen, die als Flüchtlinge schon anerkannt worden sind. Der Bund würde sie nach dem sogenannten Königssteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilen. Das ist ein etablierter Schlüssel, der nach dem Steueraufkommen und der Einwohnerzahl der Länder ermittelt wird. Ihnen bliebe überlassen, wie sie die Menschen auf die Kommunen verteilen.

Für ländliche Regionen, die Einwohner verlieren, könnte die Verteilung eine Chance sein. Hessen hat gerade eine Initiative gestartet, um Flüchtlingen das Leben auf dem Land schmackhaft zu machen. In jedem Fall hätten die kleinen Kommunen mehr Planungssicherheit, dass Investitionen sich auch auszahlen, dass die Flüchtlinge vor Ort bleiben und nicht – wie bisher – in die Ballungsräume wandern.

Für die Stadtstaaten wird in der Bundesregierung eine Sonderklausel diskutiert. Sie würden ermächtigt, die Menschen in Absprache einem anderen Land zuzuweisen. Das eröffnet Möglichkeiten zu Länderverbünden, zum Beispiel Berlin und Brandenburg oder Hamburg und Niedersachsen.

Intern wird erwogen, bestimmte Gebiete für Flüchtlinge zu sperren, im Behördendeutsch: „problematische Ballungszentren“, in denen Jobs und Wohnraum fehlen oder keine Integration möglich sei. Die positiven Kriterien würde ein Bundesgesetz festlegen: Lage auf dem Wohnungsmarkt, der örtliche Arbeits- und Ausbildungsmarkt, der Zugang zu integrationsfördernder Infrastruktur, Schulen, Kindergärten, Sprachkurse, Beratung.

Zwei Gutachten im Auftrag der Robert Bosch Stiftung kommen übrigens zum selben Ergebnis. Die Experten regen auch an, die Bundeshilfen an die Bundesländer entsprechend neu auszurichten. Ihre Empfehlung: „Geld folgt Flüchtling.“