Berlin. Seehofer verlangt von Merkel „unverzügliches Handeln“. Ramsauer: „Zeit für Notfallmaßnahmen“

Die Flüchtlingskrise spitzt sich zu. Bayern bereitet sich darauf vor, die Grenze nach Österreich selbst zu überwachen – gegen den Widerstand der Bundesregierung. Das erfuhr das Hamburger Abendblatt in CSU-Kreisen. Am Freitag richtete der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer einen Appell an Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Grenzen zu schließen. Das Ausmaß der Flüchtlingskrise erfordere „unverzügliches Handeln“, heißt es in einem Papier der CSU-Spitze.

Außerdem verlangte Seehofer ein schnellstmögliches Krisentreffen der Chefs der Koalitionsparteien und mahnte eine Antwort auf einen mittlerweile drei Wochen alten Brandbrief der bayerischen Regierung an. Die Antwort ist eine Voraussetzung für eine Verfassungsklage, über die das Kabinett in München am Dienstag beraten will.

Aus der eigenen Partei wird Seehofer bedrängt, die Grenzen zu schließen. Der Bundestagsabgeordnete Peter Ramsauer sagte dieser Zeitung, „der EU-Gipfel ist weitgehend gescheitert. Auf europäischer Ebene geht in der Flüchtlingskrise nichts voran“. Weil der Zustrom aber unvermindert anhalte, sei es Zeit für nationale und regionale Notfallmaßnahmen: „Bayern wird nicht anders können, als seine fertigen Pläne zur Grenzsicherung aus der Schublade zu holen und im Alleingang umzusetzen.“ Der frühere CSU-Vizechef Peter Gauweiler rief dazu auf, die in den 90er-Jahren nach dem Schengen-Abkommen abgeschaffte Grenzpolizei durch eine Änderung des bayerischen Polizeiorganisationsgesetzes wieder einzuführen. „Schließlich ist der Staat im Interesse seiner Bürger verpflichtet, die Schutzfunktion der Grenze wiederherzustellen, wenn sie verloren gegangen ist. Dies gilt umso mehr, als Brüssel nicht in der Lage ist, diese Schutzfunktion bei den EU-Außengrenzen zu gewährleisten“, sagte er.

Ein Sprecher des bayrischen Innenministeriums bestätigte auf Anfrage, „konzeptionelle Überlegungen“. Details wollte er nicht nennen. Bayern hat mehrfach angeboten, „in enger Abstimmung mit der Bundespolizei“ im Rahmen der Grenzkontrollen „unterstützend tätig zu werden“. Von den 70 Übergängen im Freistaat werden fünf dauerhaft kontrolliert, unter anderem Rosenheim und Simbach sowie die Bahnhöfe Passau und Freilassing. Alle übrigen, kleineren Grenzposten würde Bayern in Eigenregie kontrollieren. Bisher hatte der Bund das abgelehnt.

Seehofer bezweifelt, dass der Flüchtlingsstrom allein mit Hilfe der Türkei gestoppt werden könne: „Ich würde mich nicht allein auf die Türkei verlassen.“ Auch habe er Informationen, dass schon alternative Routen für die Flüchtlinge geplant würden. Er befürchtet, dass die Türkei ihre Hilfe an die Forderung nach einer EU-Mitgliedschaft verknüpfe oder dass Deutschland am Ende als einziges Land ihr Flüchtlingskontingente abnehmen werde. Beides lehnte Seehofer ab. Der CSU-Chef bekräftigte die Forderung nach einer Obergrenze („wichtiges Signal“) von 200.000 Flüchtlingen, die schon im März erreicht sein werde.

Seite 3 Seehofers Faustrecht: Grenzen schließen