Berlin .

Es hört nicht auf. Mehr als 2000 Flüchtlinge kommen Tag für Tag nach Deutschland, seit Jahresbeginn 110.000. Der Zustrom sei „ungebrochen“, sagte Horst Seehofer am Freitag in München. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef forderte die Bundesregierung auf, die Grenzen zu schließen. Es klang wie eine letzte Warnung. Tatsächlich prüft der Freistaat intern, selbst die Grenzkontrollen zu übernehmen – auf eigene Faust und gegen den Willen der Bundesregierung. Die fertigen Pläne dafür liegen in der Schublade. Vorbild für den Alleingang: Österreich führte am Freitag eine neue Grenzpraxis ein – mit Tagesquoten für Flüchtlinge. Die Wiener Regierung will sich nicht hinhalten lassen, nachdem der EU-Gipfel einen Beschluss zur Flüchtlingskrise vertagt hat.

„Man muss wissen, wer über die Grenze kommt und wer sich in unserem Land aufhält“, schimpfte Seehofer beim traditionellen Schwabinger Fischessen der CSU. Andernfalls sei man „kein funktionierender Staat, sondern ein ohnmächtiger“. Er habe keinerlei Verständnis dafür, dass der Bund sich bei den Grenzkontrollen nicht helfen lasse.

Die Kanzlerin lässt sich in der EUweiter hinhalten

In Berlin beteuern Kanzlerin und Innenminister in jeder Rede, dass die Grenzen überwacht werden. Im Freistaat wissen sie es besser. Von 70 Übergängen werden nur fünf permanent kontrolliert, wie etwa in Rosenheim und Simbach. Daneben führt die Bundespolizei Grenzkontrollen durch, auffällig auf den Autobahnen A3, 8 und 93 sowie an den Bahnhöfen in Passau und Freilassing.

Alle übrigen Grenzposten würde der Freistaat gern übernehmen. „Es gibt konzeptionelle Überlegungen“, bestätigte ein Sprecher des Innenministeriums unserer Zeitung. Details verriet er nicht. „In enger Abstimmung mit der Bundespolizei könnte die bayerische Polizei im Rahmen der Grenzkontrollen unterstützend tätig werden. Beginn und der Umfang richten sich nach den noch zu treffenden Absprachen“, so ein Sprecher. Oft trug Minister Joachim Herrmann (CSU) dem Bund die Idee vor, erstmals im November 2015. Jedes Mal lehnte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) den Vorschlag ab.

Der Plan der Bayern sieht vor, bisher unbesetzte Übergänge mit eigenen Beamten zu überwachen. In Grenzfragen sind die Bayern traditionell eigen. Schon in den 50er-Jahren drohten sie dem Bund mit Klagen. Letztlich hielten sie die bayerische Grenzpolizei bis zum 31. März 1998 aufrecht. Erst infolge des österreichischen Beitritts zu EU und Schengener Abkommen beendete man die Kontrollen. Die Schlagbäume zu Tschechien wurden gar erst zum 21. Dezember 2007 abgebaut.

Eigentlich ist Ruhe angesagt. „Wir wollen keine Dolchstoßlegende“, verrät ein CSU-Abgeordneter in Berlin. Man will sich nicht vorhalten lassen, CDU-Niederlagen bei den Landtagswahlen am 13. März verursacht zu haben. Aber der Frust sitzt tief. Hatte die Kanzlerin nicht selbst eine Zwischenbilanz nach dem Gipfel in Aussicht gestellt? Als eine „Zäsur“ hatte die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner den Gipfel bezeichnet. Und nun das: Die Ikone der Willkommenskultur wird in der EU hingehalten.

Bislang zeigte Seehofers Kritik an Merkel kaum Wirkung. Mit der Antwort auf einen Brief von ihm lässt sie sich seit drei Wochen Zeit. Eine Verfassungsklage Bayerns steht zwar im Raum. Aber Seehofer will sowohl formalrechtlich als auch „aus Anstandsgründen“ eine Antwort aus Berlin abwarten. Offen ist, wann Bayern die Grenzen schließen würde. Es wäre ein Rechtsbruch, aus CSU-Sicht: Notwehr. Wie aber würde der Bund reagieren?

Seehofer wird die Geister nicht los, die er rief. Da ist Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer. Auf EU-Ebene gehe „nichts voran“, der Flüchtlingsstrom halte unvermindert an, beklagte er. „Jetzt ist es Zeit für nationale und regionale Notfallmaßnahmen“, sagte er unserer Zeitung. Bayern werde nicht anders können, „als seine fertigen Pläne zur Grenzsicherung aus der Schublade zu holen und im Alleingang umzusetzen“. Da ist Peter Gauweiler, bis 2015 Vizechef der CSU. Der Staat sei verpflichtet, „die Schutzfunktion der Grenze wiederherzustellen, wenn sie verloren gegangen ist“, sagte er unserer Zeitung. Auch er verlangt, die bayerische Grenzpolizei wieder einzuführen.

Die eigenen Leute setzen Seehofer unter Druck

Der Handlungsdruck ist gewaltig. Der zwischenzeitliche Rückgang der Flüchtlingszahlen hing nach Aussage eines Offiziers der Küstenwache auf der griechischen Insel Chios „mit dem Wetter und nicht mit türkischen Einschränkungsmaßnahmen zusammen“. In den letzten 48 Stunden hat die europäische Grenzschutzagentur Frontex schon wieder 1753 Menschen aus den Fluten der Ägäis gerettet.

Längst baut Bayern die Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen aus: von 23.000 auf 36.000 Plätze. Andere Länder ziehen mit, kalkulieren ein, dass es der Kanzlerin misslingen wird, den Zuzug zu begrenzen. Nehmen sie Merkels Scheitern vorweg?