Berlin.

Die Zahl ist topsecret. Im Innenministerium wird sie auch intern nicht diskutiert, aber die Chefebene treibt sie schon um. Wann ist jene „spürbare Reduzierung“ eingetreten, von der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) oft redet? Wie viele Flüchtlinge?

Einiges deutet darauf hin, dass 2016 eine halbe Million als Zwischenziel vertretbar wäre, wenn nur die Gesamtrichtung stimmte und der Trend nach unten wiese. Es wäre eine Halbierung im Vergleich zum Vorjahr. Das könnte die Kanzlerin als Zwischenziel ausgeben und damit auch politisch durchkommen.

Langfristig dürfte die Orientierungsmarke eher bei 200.000 Neuankömmlingen liegen. Das ist keine aus der Luft gegriffene Zahl, sondern vielmehr ein Erfahrungswert. 2014 hat die Bundesrepublik klaglos 200.000 Flüchtlinge verkraftet. Es war das letzte „normale“ Jahr.

Auch politisch markieren die 200.000 eine Schmerzgrenze. Sie entsprechen der Höhe der von der CSU definierten „Obergrenze“. Auch die war nicht willkürlich, sondern eine EU-Anleihe: Die deutsche EU-Quote beträgt 26 Prozent, wobei CSU-Chef Horst Seehofer von 800.000 Flüchtlingen im Jahr ausging – so kam er auf grob 200.000.

Offiziell ist Innenminister Thomas de Maizière (CDU) für die Prognose über die Flüchtlingszahlen zuständig. Bis Ostern will er keine abgeben; zu unübersichtlich erscheint ihm die Situation. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) folgt dem Dienstherren, hat sich allerdings selbst Ziele gesetzt. Das Amt will in diesem Jahr 1,1 bis 1,2 Million Anträge bearbeiten. Davon muss man wiederum 660.000 bis 760.000 alte oder noch offene Fälle abziehen. Dem BAMF bleiben Kapazitäten, um halbwegs problemlos maximal 500.000 Neuanträge zu bearbeiten. Angestrebt wird eine Bearbeitungszeit von durchschnittlich drei Monaten. Die Anerkennungsquote liegt bei 50 Prozent. Das heißt: Nur die Hälfte der Flüchtlinge ist bleibeberechtigt. Die andere Hälfte der Asylbewerber müsste umgehend abgeschoben werden. Auch das würde die Gesamtbelastung drücken und die Kanzlerin politisch entlasten.

Zum 24. Februar wird selbst die Nato für die Seepatrouille in der Ägäis herangezogen. Die greift in den Kampf gegen die Schlepperbanden ein. Die EU-Außengrenzen absichern, mehr Abschiebungen, schnellere Verfahren – vieles wurde längst eingeleitet, Merkel zieht alle Register. Nun wartet die Kanzlerin allerdings auf die Umsetzung und auf erste Erfolge. Sie kämpft um jede Woche, jeden Termin, jeden Zeitgewinn.

Die Entwicklung seit Jahresbeginn ist wenig ermutigend. Am Montag kamen nach Angaben der Bundespolizei 2.042 Flüchtlinge, am Sonntag 2.723, am Sonnabend 2.424, am Freitag 2.468, insgesamt schon rund 100.000. Wie es aussieht, wird Seehofers „Obergrenze“ wohl schon im März überschritten.