Berlin.

Sie sind beide unter Druck, Leidensgenossen. Um Angela Merkel wird es zunehmend einsamer in der Flüchtlingskrise. Benjamin Netanjahu fühlt sich wiederum alleingelassen in der Konfrontation mit dem Iran. Mit der Teheraner Regierung hat der Westen gerade seinen Frieden gemacht. Es hat dem israelischen Premierminister missfallen, dass ausgerechnet der deutsche Vizekanzler, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), im Juli als erster westlicher Spitzenpolitiker nach Teheran gereist ist, um für deutsche Produkte zu werben. Die Sorge ist groß, dass der Rubel rollt, bevor überhaupt richtig feststeht, ob der Iran die Verpflichtungen des Atomprogramms auch wirklich einhält.

Aber das wird der Israeli heute bestimmt nicht an die große Glocke hängen, wenn er um zehn Uhr im Kanzleramt vorfährt, höchstens in der halben Stunde, in der Merkel und er unter vier Augen sprechen. Es ist ein Besuch unter Freunden. Und es sind Partner, die sich brauchen, die gerade Ausnahmesituationen bewältigen müssen.

Am Beginn der sechsten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen steht für die Kanzlerin die Besinnung auf ihre Grundlinien. Am Existenzrecht des jüdischen Staates hat sie nie Zweifel aufkommen lassen. Es ist – als Folge des Holocausts – Teil der deutschen Staatsräson, wie sie 2008 vor der Knesset erklärte. Damit rechtfertigt sie umfangreiche Waffenlieferungen, wie zuletzt des fünften von sechs atomwaffenfähigen U-Booten, die Israel mit einer sogenannten Zweitschlagkapazität im Falle eines Angriffs ausstatten.

Merkel beobachtet den Friedensprozess in Israel ziemlich desillusioniert

Merkel ist zwar an der Seite Israels, aber ihr Blick auf den Friedensprozess mit den Palästinensern fällt ziemlich desillusioniert aus. Sie hat den Stillstand in den Gesprächen schon vor Netanjahus Ankunft in Berlin in ihrem Podcast kritisiert. „Es gibt Fragezeichen und auch darüber werden wir sprechen.“ Zum Palästinenserkonflikt hatte sie im Oktober fast resigniert bemerkt: „Wir können hier helfen, aber wir können von außen auch nichts erzwingen.“ Gemeint ist etwa der Bau von Siedlungen und die vonseiten der Israelis immer wieder infrage gestellte Zwei-Staaten-Lösung. Zuletzt hatte sich Bildungsminister Naftali Bennett (Siedlerpartei Jüdisches Heim) für die Annektierung erster Gebietsblöcke im besetzten Westjordanland ausgesprochen. Er blieb zu Hause, ist in Berlin nicht dabei. Auch ein Zeichen.

Es ist wie so oft. Man will die positiven Dinge betonen, hat sogar einen Anlass zum Feiern. 2015 jährte sich die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zum 50. Mal. Aber im Vordergrund steht bei den Konsultationen dann doch die Sicherheit. Wirklich gebessert hat sich die Situation in den letzten Monaten nicht. Noch immer erlebt Israel fast täglich Terrorangriffe. Die Sorgen um die Stabilität in der Region haben sich eher mal vergrößert.

Während die Kanzlerin zurzeit in der Flüchtlingskrise unter Druck steht und auf eine Lösung des Syrienkonflikts angewiesen ist, leben die Israelis schon lange mit der unmittelbaren Bedrohung an ihrer nördlichen Grenze.

Im Zusammenhang mit der Syrien-Krise beobachtet man in Jerusalem, dass die privilegierte Partnerschaft mit der Türkei, von der Merkel einst sprach, tatsächlich Realität geworden ist – im Zeichen der Flüchtlingskrise. Die Türkei ist für Merkel ein Schlüsselstaat. Sie soll die Ägäis besser überwachen, Flüchtlinge zurücknehmen. Sie wird gebraucht. Das führt zu einer Aufwertung, die Netanjahu mit Argusaugen beobachtet. Denn die Türkei ist zugleich eine Unterstützerin der Hamas im Gazastreifen und damit ein Ärgernis erster Klasse für die Israelis.

„Syrien wird nach unserer Einschätzung noch sehr lange Zeit chronisch instabil bleiben“, erklärte der israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon gerade in einem Interview mit der „Welt“. Die Idee, das Land wieder zu befrieden, ist in den Augen der Israelis „Wunschdenken“. Das wird Merkel nicht gern hören. Die Israelis haben ganz andere Prioritäten als Syrien . „Den Iran an unserer Grenze stehen zu haben“, so Jalon, bereite ihnen mehr Kopfschmerzen als der ‚Islamische Staat‘ in Syrien.

Die Mullahs in Teheran predigen die Auslöschung Israels. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Terrorfinanzierung in der Region, und ihre Revolutionswächter sind sogar eine direkte Kampfpartei in Syrien. Merkel kennt die Sorgen und nahm sie gewissermaßen vorweg in ihrem wöchentlichen Podcast. „Wir haben gemeinsam keinerlei Illusionen über die Frage der iranischen Politik.“ Grundsätzlich sei dem Abschluss des Atomabkommens mit dem Iran „ein Abwägungsprozess“ vorausgegangen, erläuterte sie. Besser eine Abmachung als gar keine; Hauptsache, das iranische Nuklearprogramm wird gestoppt. Das ist pragmatisch, völlig anders als Netanjahu, der den Deal bis zuletzt bekämpfte und das Verhältnis zu den USA aufs Spiel gesetzt hatte.

Eigentlich hat Netanjahu an Merkel mehr und konkretere Erwartungen als umgekehrt. Die Kanzlerin ahnt längst, womit sie hinter verschlossenen Türen konfrontiert wird: Zum Beispiel mit dem Ärger über die EU-Kennzeichnungsvorschriften für Produkte von Siedlern aus dem Westjordanland. „Deutschland ist Israels mit Abstand wichtigster Handelspartner in Europa“, sagte Oded Eran dem Hamburger Abendblatt. Der ehemalige Botschafter Israels bei der EU ist heute Experte am Institute for National Security Studies in Tel Aviv. Er sagt: „Was Deutschland macht, hat in Europa Gewicht, deshalb ist es für Israel entscheidend.“

Aber Netanjahu wird deswegen keinen Krach riskieren. Zweimal hat er die Regierungskonsultationen im Jahr 2015 absagen müssen, erst wegen der vorgezogenen Neuwahlen in Israel, dann im Herbst wegen der angespannten Sicherheitslage. Nun will der 50. Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen gefeiert werden. Der Verweis auf das Jubiläum verrät viel Sehnsucht nach Normalität. Davon waren Merkel und Netanjahu lange weit entfernt. Das ist heute ein bisschen anders, wenn der Premier die Konsultationen nachholt. In Regierungskreisen heißt es, größere bilaterale Konflikte gebe es nicht. Größere nicht – aber Reizpunkte schon. „Es müssen aber auch Probleme ehrlich auf den Tisch kommen“, sagte Volker Beck dem Abendblatt. Er spielt auf die israelischen Auflagen für Nichtregierungsorganisationen an, genauer: Menschenrechts-NGOs. Sie sollen bei jeder Aktion – Diskussionen, Briefe, Kongresse, Broschüren – ihre ausländischen Finanzquellen offenlegen. Der Grünen-Abgeordneter, Sprecher der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, spricht von einer „Gängelung“, von der wiederum die Siedlerorganisationen ausgenommen würde, wie er weiß. Justizminister Heiko Maas (SPD) soll das Thema mit seiner Amtskollegin besprechen.

Premier Netanjahu reiste nach Berlin mit insgesamt neun Kabinettsmitgliedern

Das israelische Kabinett ist mit neun Mitgliedern vertreten, vier Minister (Energie, Einwanderung, Justiz, Bau) und mehrere Generaldirektoren – die Staatssekretärsebene. In den Gesprächen geht es um Cyber-Security, genauso wie um Nanotechnologie und die Pflege des gemeinsamen Bauhauserbes – bis hin zu einer Afrikainitiative zur Entwicklungshilfe. Außerdem wird die israelische Justizministerin Ayelet Schaked mit Maas nicht nur über die NGOs reden, sondern auch über ein Gesetz zur Rückgabe von NS-Raubkunst, das seit Monaten von Berlin blockiert wird. Das ist nach Lage der Dinge noch Merkels geringste Sorge.