Berlin.

Nie wieder Schweineschnitzel? In deutschen Kitas und Schulen verschwindet das Schweinefleisch vom Speiseplan: Einige Städte haben es ganz verbannt – in anderen sinkt die Nachfrage rapide. „In den nächsten Jahren wird das Schweinefleisch immer weiter von den Speiseplänen in Kitas und Schulen verschwinden“, sagte die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), Ulrike Arens-Azevedo, dieser Zeitung. Der Grund: religiöse Verbote und moderne Ernährungsstandards.

„Der Anteil an Schweinefleisch ist in den letzten Jahren immer weniger geworden“, bestätigt Rolf Hoppe, Vorsitzender des Verbands Berliner Schul-caterer. „Die Zahl der muslimischen Schüler ist gestiegen und die Qualität von konventionellem Schweinefleisch ist fraglich.“

Hoppes eigener Cateringbetrieb „Luna“ bietet überhaupt keine Gerichte mit Schweinefleisch an – und sieht das als Marktvorteil: „Muslimische Schüler können sich darauf verlassen, dass auch unsere Produktion absolut frei von Schweinefleisch ist.“ Er ist nicht der einzige: „Die Caterer machen ihr Angebot inzwischen häufig ganz ohne Schweinefleisch“, sagt die Hamburger Ernährungsexpertin Arens-Azevedo.

Ernährungsminister Christian Schmidt sieht die Entwicklung mit Sorge: „Es kann nicht sein, dass wir Schweinefleisch, das Teil unserer Ernährung und Esskultur ist, einfach von den Speiseplänen verbannen“, sagte der CSU-Politiker dieser Zeitung. „Ich erwarte hier, dass Kreativität im Umgang mit kulturellen Essgewohnheiten zu mehr Abwechslung im Speiseplan führt und nicht zu weniger.“

Mittlerweile essen mehr als zwei Millionen Kinder mittags in der Kita

Auch an den 4000 Ganztagsschulen in NRW wird immer weniger Schweinefleisch eingesetzt: „Das gilt besonders für das Ruhrgebiet, wo es immer mehr muslimische Kinder gibt“, sagt Ursula Tenfelde-Weber, Leiterin der Vernetzungsstelle Schulverpflegung in Düsseldorf. Bundesweit hat das schleichende Aus für das Schweineschnitzel in der Schulmensa jedoch nicht nur mit der Zunahme muslimischer Schüler zu tun – sondern auch mit veränderten Ernährungsstandards: Die DGE empfiehlt für das Mittagessen in Kitas und Schulen maximal zwei Fleischgerichte pro Woche – eins davon soll Geflügel sein. Das heißt: Kitas und Schulen, die sich an die Vorgaben halten, servieren höchstens noch viermal im Monat Schweinefleisch.

In Deutschland essen mittlerweile mehr als zwei Millionen Kinder mittags in der Kita – in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl nahezu verdoppelt. Durch den Ausbau der Ganztagsschulen kommen noch einmal mehrere Millionen Schüler dazu. Ernährungsminister Schmidt will die DGE-Standards flächendeckend etablieren – und hat dabei auch das Fleisch im Blick: „Das Essensangebot in den Schul- und Kitakantinen ist zu einseitig, was Fleisch und frittierte Produkte betrifft“, sagte Schmidt dieser Zeitung. Es soll weniger Fleisch und stattdessen mehr Obst und Gemüse geben. „Aber: Wir wollen niemandem sein Wurstbrot wegnehmen und auch sonst nicht vorschreiben, was zu Hause auf den Tisch kommt.“

In einer aktuellen DGE-Umfrage unter rund 1400 deutschen Kitas gaben immerhin bereits knapp 30 Prozent an, dass sie sich an die Standards halten. Fast 80 Prozent achten ausdrücklich auf muslimische Speisevorschriften. Bei den Schulen gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern.

Berlin hat sich verpflichtet: „Das Mittagessen in der Schule muss sich nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung richten“, sagte Beate Stoffers, Sprecherin der Berliner Bildungssenatorin dieser Zeitung, auch in Hamburg gelten laut DGE die Standards. In NRW, Niedersachsen und Thüringen dagegen ist das Bild gemischt. Das Problem: Die Schulen können oft nicht selbst über ihre Verpflegung entscheiden – es sind die Schulträger, die die Verträge mit den Caterern machen. „Und hier wächst das Bewusstsein für gesunde Ernährung erst langsam“, so Tenfelde-Weber.

Beim Schweinefleisch gilt das nordrhein-westfälische Bielefeld als Pionier: Hier verzichten die städtischen Kitas seit fast 15 Jahren ganz auf Schweinefleisch. Im hessischen Frankfurt soll es nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ebenfalls inzwischen eine solche Anweisung an die örtlichen Caterer geben.

Berlin geht einen anderen Weg: „Es gibt keine Anweisung für die Schulen, auf Schweinefleisch zu verzichten“, sagt Stoffers. Die Caterer seien aber verpflichtet, ihr Angebot spezifisch auf die jeweilige Schule auszurichten. „Sollten Schulen vorab aufgrund zum Beispiel einer Vielzahl muslimischer Schüler diesen Verzicht als Wunsch genannt haben, dann muss sich der Caterer danach richten.“ Ein vegetarisches Gericht müsse es obendrein in jedem Fall geben.

In Dänemark und Frankreich gibt es bereits erste Anzeichen für eine Gegenbewegung: Ein Gemeinderat in Ostjütland verordnete Anfang des Jahres seinen Kitas und Schulen ausdrücklich, Schweinefleisch auf den Speiseplänen anzubieten – eine Initiative der Rechtspopulisten zur Rettung der dänischen Esskultur. Auch im französischen Burgund entschied ein Bürgermeister, dass es in den Schulkantinen seiner Stadt kein Menü mehr ohne Schweinefleisch geben dürfe. Das alternative Gericht für muslimische und jüdische Schüler wurde abgeschafft.