Moskau.

Manchmal war ihre Kameradschaft eng und tollkühn. Es war im Jahr 2010, als Wladimir Putin aus einem Schlauchboot in der Beringsee auf einen Grauwal zielte – und mit einem Betäubungspfeil schoss. „Schrecklich, Putin zielt aus einer Harpune auf einen 15-Meter-Wal“, schildert der Kremlkorrespondent der Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ die Szene. Der Wal schieße wie eine gigantische Kerze aus dem aufgewühlten Meer. Und dann: „Djumin aber ist neben Putin, hält ihn fest, umklammert seinen Rumpf.“ Alexei Djumin war damals Putins Adjutant, einer der wenigen Vertrauen, die sogar in Putins Villa in Nowo-Ogarjowo übernachteten. „Putin verlässt sich auf uns“, sagte Djumin damals, „wie auf sich selbst.“

Jetzt hat der russische Präsident seinen ehemaligen Leibwächter Alexei Djumin, 43, zum Gouverneur der Region Tula ernannt. Und nun spekuliert Moskau, ob Putin den Sicherheitsmann als neue Figur in der russischen Politik installieren möchte. Oder ob er den Kraftmenschen mit der Meckifrisur und den dichten Augenbrauen sogar zu seinem Nachfolger aufbauen will.

Formal ist der neue Job in Tula eher ein Karriereknick. In Kursk geboren, kam Djumin nach einem Studium an der Militärhochschule in Woronesch für Radioelektronik 1995 zum Föderalen Überwachungsdienst, zuständig für die Sicherheit der Staatsführung. Er diente unter Putin als Sicherheitsoffizier im Kreml, 2008 wurde er sein Adjutant, 2012 Stellvertretender Chef des Präsidialen Sicherheitsdienstes, 2014 übernahm er den gleichen Posten beim Militärgeheimdienst GRU. 2015 wurde er Stabschef der Landstreitkräfte, im Dezember schließlich stellvertretender Verteidigungsminister. Der Job, Tula zu verwalten, eine an Rüstungsfabriken reiche, aber wirtschaftlich eher schwache Region südlich von Moskau, wirkt dagegen weniger reizvoll.

Aber kremlnahe wie oppositionelle Beobachter vermuten, Putin habe den Gefolgsmann erst als Kommandeur bei Geheimdienst- und Militäroperationen erprobt, nun betraue er Djumin mit dem Gouverneursposten, um sein politisches Profil zu erweitern. „Die einzige Erfahrung, die Djumin fehlt, ist Arbeit im zivilen Bereich“, bloggt Sergei Dorenko, Chefredakteur der Radiostation Goworit Moskva. Er setzt schon auf Djumin als Nachfolger Putins. Und die kritische Zeitschrift „New Times“ titelt: „Wer sind Sie, General Djumin?“ – in Anspielung auf Putin, der 1999 relativ unbekannt war und überraschend Präsidentschaftskandidat wurde.

Djumin ist verheiratet, über Kinder ist nichts bekannt, über sein übriges Privatleben auch nicht. Aber Djumin ist „Held Russlands“. Unklar, wofür genau er das höchste staatliche Ordenskreuz erhielt. Aber er leitete angeblich persönlich die Rettung des flüchtigen ukrainischen Staatschefs Viktor Janukowitsch vor den Kiewer Rebellen im Februar 2014. Danach war er laut der Nachrichtenagentur Tass als Kommandeur der „Streitkräfte für Spezialaufgaben“ maßgeblich an der Organisation der Krim-Annexion beteiligt.

Ein Mann, der mehr als nur persönliche Treue und einen kräftigen Klammergriff für Putin zu bieten hat. „Er hatte es nie eilig, nach der Arbeit heimzukommen“, sagt ein Bekannter Djumins der Internetzeitung „gazeta.ru“. „Die Aufgaben, die ihm gestellt wurden, erfüllte er immer – um jeden Preis.“ Ein Beamter des Verteidigungsministerium sagte „New Times“, Djumin habe Armee, Innenministerium und die Geheimdienste FSB sowie GRU sehr gut koordiniert, Putin dabei aber ständig informiert. Weshalb der Generalstabschef bei der Armee selbst eher unbeliebt gewesen sein soll.

Verteidigungsminister Sergei Schoigu aber findet nur lobende Worte für Djumin. Beide sind Eishockeyfans – wie ihr Chef Putin. Djumin engagiert sich für den Petersburger Klub SKA, gesponsert von Gazprom und gemanagt von den Oligarchen Gennadi Timtschenko und Roman Rotenberg.

Djumin ist ein loyaler Krieger – er könnte Medwedew als Premier verdrängen

Und Djumin wagt sich auch selbst aufs Eis, in der sogenannten „Nachthockeyliga“. Dort spielen diverse russische Altstars, Promis wie Wladimir Potanin, laut Forbes mit 15,4 Milliarden US-Dollar der zu Zeit reichste Russe. Und vor allem Wladimir Putin.

Djumin scheint die Übersicht behalten zu haben. Ein erprobter, loyaler, kluger Krieger. „Das Gewicht der Sicherheitsorgane wächst“, sagt der Politologe Jewgeni Mintschenko. Viktor Solotow, Djumins Vorgänger als Chef der Kremlsecurity, kommandiert inzwischen die Streitkräfte des Innenministeriums. Andere Experten diskutieren, ob Djumin den liberalen Premierminister Dmitri Medwedew als Putins Thronfolger verdrängen könnte. „Wichtig ist nicht, wer heute Gouverneur von Tula wird, sondern auf wen sich morgen die konkurrierenden Fraktionen der politischen Elite einigen“, sagt der Politologe Boris Kagarlizki. Allerdings hat Putin bei den Präsidentschaftswahlen 2018 beste Chancen, selbst wieder gewählt zu werden. Für weitere sechs Jahre. „Jetzt Nachfolger zu suchen ist albern“, sagt Mintschenko. „Unter seinem Vorgänger Jelzin wurden alle möglichen Namen genannt, nur nicht Wladimir Putin.“ Alexei Djumin selbst lässt durchblicken, er werde dem Kreml weiter treu dienen, egal welche Pläne man dort hege. „Ich bin Soldat. Das Vaterland sagt: Vorwärts! Ich antwortete: zu Befehl!“, erläuterte er gegenüber Journalisten seine Ernennung zum Gouverneur.