Wien.

Zwei Karten sind im Spiel um die europäische Flüchtlingskrise: Die türkische und die mazedonische. Berlin und die niederländische Ratspräsidentschaft wollen die Türkei zum Wächter an den Toren Europas machen. Einige osteuropäische Staaten ziehen es dagegen vor, die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien zu versiegeln – eine Idee, die auch bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie in Österreich Anklang findet.

Auf die mazedonische Karte setzen vor allem die Regierungschefs von Ungarn und Slowenien, Viktor Orbán und Miro Cerar. Beide wollen gar keine Flüchtlinge in Europa, auch keine Kontingente. Deshalb werben sie bei anderen EU-Staaten intensiv dafür, die Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland zu schließen. Orbán will für seine Idee auch Polen, Tschechien und die Slowakei gewinnen.

Während in Wien Bundeskanzler Werner Faymann mit Merkel auf die Türkei setzt, favorisieren sein Außen-, sein Verteidigungsminister und seine Innenministerin den ungarisch-slowenischen Plan und wollen dafür sogar die EU-Grenzagentur Frontex sowie die österreichische Armee einsetzen. Auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker spielt die mazedonische Karte, wenn auch nur taktisch: Die Kommission hofft, Griechenland auf diese Weise zu aktiver Grenzsicherung zu bewegen. Offen gegen ein EU-Land stellen, kann sich die Kommission aber nicht.

Ob der Orbán-Plan überhaupt umsetzbar ist, wird in Berlin stark bezweifelt: Griechenland wäre aus dem Schengensystem ausgesperrt und bliebe mit dem Flüchtlingsproblem allein. Chaotische Zustände und ein Aufleben der alten griechisch-türkischen Spannungen wären die Folgen. Als Garanten müsste die EU auf das autoritäre Regime in Skopje setzen. Es wäre ein Signal an die fünf anderen Nicht-EU-Staaten auf dem Balkan, dass man sich, statt sich den strengen Demokratie- und Rechtsstaatsforderungen der EU zu beugen, auch bequem in deren Vorhof einrichten kann. Viktor Orbán könnte das egal sein: Wenn seine Lösung am professionellen Schlepperwesen auf dem Balkan scheitert, muss Ungarn keine Konsequenzen fürchten.

Nicht alle Osteuropäer sind mit dem radikalen Orbán-Plan einverstanden. Bulgarien etwa fürchtet, wieder zur Transitroute zu werden. Um Mazedonien zu umgehen, würden Flüchtlinge über die 500 Kilometer lange, ganz ungesicherte Grenze zu Griechenland kommen und dann weiter nach Serbien ziehen. Aus dem gleichen Grund herrscht Skepsis auch in Zagreb: Kroatiens 1000 Kilometer lange Grenze zu Bosnien ist praktisch nicht zu sichern.

Eine europäische Einigung wird es auf dem EU-Gipfel nächste Woche deshalb auch nicht geben. Wenn der Türkei-Plan Wirklichkeit wird, bleiben allerdings etliche Probleme und Risiken. Eine Lösung wäre er nur für Syrer. Um Iraker, Afghanen, Iraner fernzuhalten, müsste die Türkei ihre Grenze im Osten schließen. Die Regierung in Ankara hätte zudem Rückendeckung für weitere Einmischungen in den syrischen Bürgerkrieg. Macht Europa Ernst mit dem Vorhaben, Syrien-Flüchtlinge bei sich anzusiedeln, dürfte der Zug von Syrern in die Türkei noch anschwellen.