Johannesburg. Schlimmste Dürre in dem ostafrikanischen Land seit 30 Jahren: Zehn Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen – und es könnten noch mehr werden

Als die BBC vor drei Monaten Alarm schlug, zeigte sich die äthiopische Regierung erzürnt. Dem über hungersterbende Kinder im Nordosten des ostafrikanischen Staates berichtenden britischen Reporter wurde „Panikmache“ vorgeworfen. „Es gibt keine Hungersnot in Äthiopien“, erklärte der stellvertretende Regierungschef Demeke Mekonnen kategorisch. Die Regierung, die sich eines beispiellosen Wirtschaftswachstums rühmt, habe die Lage fest im Griff, fügte Mekonnen hinzu: Das Kind einer vom BBC interviewten weinenden Mutter sei in Wahrheit „aus ganz anderen Gründen“ gestorben.

Inzwischen, drei Monate später, schlägt Äthiopiens Regierung andere Töne an. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der den afrikanischen Gipfel in Addis Abeba besucht hatte, wurde am Wochenende mit dem Hubschrauber in die südlich der Hauptstadt gelegene Region Ogolcho geflogen: Dort fühlte sich der Südkoreaner an die Not nach dem Krieg in seiner Heimat erinnert.

400.000 Kinder leiden anchronischer Unterernährung

Plötzlich redet auch Demeke Mekonnen, der den UN-Chef begleitete, von der schlimmsten Dürre seit mehr als 30 Jahren: In Ogolcho sind offenbar mehr als 65 Prozent der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Noch wird die derzeitige Situation nicht mit der äthiopischen Jahrhundertkatastrophe 1984 verglichen, die mehr als einer Million Menschen das Leben kostete. Doch die Zahl der von der Dürre in Mitleidenschaft gezogenen Äthiopiern muss wöchentlich nach oben korrigiert werden.

Sprach die UN Ende des vergangenen Jahres noch von acht Millionen, so sind es heute schon mehr als zehn Millionen Menschen, die auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Diese Zahl könne sich „ohne weiteres verdoppeln“, warnen die Experten des Staatenbunds: Möglicherweise seien in einigen Monaten bis zu einem Viertel der über 80 Millionen Einwohner des zweitbevölkerungsreichsten Staates Afrikas vom Hunger betroffen. Schon heute stünden rund 400.000 Kinder in der Gefahr, als Folge der Unterernährung Wachstumsstörungen und eine Beeinträchtigung ihres Intellekts zu entwickeln.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen spricht von 1,4 Milliarden Dollar, die zur Ernährung der äthiopischen Bevölkerung in diesem Jahr nötig seien. Gerade mal ein Drittel davon sind bislang jedoch zugesichert worden. Alle Blicke der Welt seien derzeit auf den Krieg in Syrien gerichtet, klagen Experten. Darüber drohe die von der Klimaerwärmung noch verschärfte Krise in Ostafrika unter den Tisch zu fallen.

Die in manchen Teilen Äthiopiens bereits seit drei Jahren anhaltende Dürre wird auf die wegen ihres Auftretens um Weihnachten herum auf spanisch „El Niño“, das Christkind, genannte Erwärmung des Pazifiks zurückgeführt. So verheerend wie in diesem Jahr hat sich das globale Wetterphänomen allerdings noch nie, oder zumindest schon lange nicht mehr ausgewirkt.

Äthiopiens ehrgeiziger Regierung kommt die Krise äußerst ungelegen. Sie sucht ausländische Investoren derzeit davon zu überzeugen, dass die Wirtschaft des ostafrikanischen Staates mit zweistelligen Raten wächst und vor einem historischen Industrialisierungsschub steht.

Dass sie auch an die 78 Prozent der von der Landwirtschaft lebenden Bevölkerung denkt, sollte mit einem bereits vor zehn Jahren gestarteten Staatsprogramm bewiesen werden, das fast acht Millionen Menschen in eine stabile Versorgungslage versetzen sollte. Fachleute räumen ein, dass der ostafrikanische Staat dabei Beachtliches geleistet hat – und dass die derzeitige Lage ohne das Regierungsprogramm noch wesentlich schlimmer wäre.

Hilfsorganisationen, die von der Regierung in Addis Abeba mit Argusaugen überwacht werden, berichten indes von Tausenden Kleinbauernfamilien, die derzeit auf der Suche nach noch nicht erschöpften Wasserquellen durch die Gegend ziehen. Sie sähen sich gezwungen, schmutziges Wasser oder Nahrungsmittelreserven mit ihren Tieren zu teilen. „Schlachten sie ihre letzten Kamele, Rinder oder Ziegen, dann bringen sie sich um ihre Zukunft“, sagt Shannon Scribner von der Hilfsorganisation Oxfam.

Das Nachbarland Somalia leidetunter sintflutartigen Regenfällen

Bereits im Vorjahr hat Addis Abeba außerdem mehr als 270 Millionen Dollar für Nahrungsmittelhilfe zur Verfügung gestellt, in diesem Jahr sollen es nochmals 110 Millionen werden – enorme Summen für einen der ärmsten Staaten der Welt. Trotzdem hätte die Regierung wohl besser daran getan, die sich abzeichnende Krise nicht zunächst verharmlosen zu wollen.

Äthiopien ist auch keineswegs der einzige afrikanische Staat, der vom „Christkind“ heimgesucht wurde. Insgesamt sind nach UN-Angaben 60 Millionen Afrikaner von der Dürre betroffen. Außer in Ostafrika vor allem im Süden des Kontinents, wo in diesem Jahr historische Rekordtemperaturen von weit über 40 Grad gemessen wurden. Selbst das relativ hoch entwickelte Südafrika leidet unter der trockenen Hitze: Dort bleiben die Ernten aus, die Rinder sterben und die Lebensmittelpreise schießen in astronomische Höhen. In Südafrikas Nachbarstaaten Simbabwe, Lesotho, Swasiland, Mosambik und Sambia sollen bald mindestens fünf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein.

Wie ein übler Scherz der Natur muss es wirken, dass Äthiopiens Nachbarland Somalia derzeit von sintflutartigen Regenfällen heimgesucht wird. Sie werden ebenfalls auf El Niño zurückgeführt. Die somalische Region Lower Juba ist weiträumig überflutet, dort mussten 144.000 Menschen ihre Hütten und Dörfer verlassen.