Die Koalition erfreut sich an der neuen Asylpolitik. Doch das Triumphgeschrei kommt zu früh

Es heißt, ein Gentleman genießt und schweigt. Horst Seehofer trat am Freitag den Beweis dafür an, dass in der Politik andere Sitten gelten. Er hat sich in den Verhandlungen über das Asylpaket II durchgesetzt und ruft es hinaus. Die ganze Welt soll es erfahren: Die CSU treibt die Große Koalition an und Kanzlerin Merkel vor sich her.

Was soll das Triumphgeschrei? Es ist keine Leistung, einen Kompromiss zu bestätigen, der seit drei Monaten vorlag. Das fällt auf Union und SPD zurück. Es zeigt, wie mühsam es geworden ist, handlungsfähig zu bleiben. Aktuell ging es vor allem um den Familiennachzug – ein weites Feld. Ihn für die Flüchtlinge zu erschweren, ist heikel, vielleicht sogar eine Dummheit.

Erst einmal: Wer wie Merkel den Zuzug zwar begrenzen, aber aus vielerlei Gründen an den offenen Grenzen festhalten will, sollte besser dafür sorgen, dass die Asylanträge schnell bearbeitet werden. Klarheit binnen drei Monaten – das sollte möglich sein. Wenn das gelingt, fallen nicht nur Abschiebungen leicht. Dann vermeidet man auch manches Dilemma, zum Beispiel eben beim Familiennachzug.

Was ist daran human, die jungen Männer durchzuwinken, aber den Frauen und Kindern Steine in den Weg zu legen? Ihnen bleibt nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Riskieren sie ihr Leben im syrischen Bürgerkrieg oder im Schlauchboot auf dem Meer bei der Flucht nach Europa? Wie wird die Integration wohl am ehesten gelingen, allein oder mit Familie? Wer Selfies mit Flüchtlingen macht und damit Signale aussendet, der übernimmt auch eine Verantwortung: nämlich für die bestmögliche Integration zu sorgen.

Der Strom der Flüchtlinge reißt nicht ab. Und doch fehlt weiter ein schlüssiges, entschlossenes Gesamtkonzept zur Integration. Man läuft Gefahr, denselben Fehler wie bei der Gastarbeiterwelle in den 60er-Jahren zu begehen. Damals lebten beide Seiten im Glauben, dass die Menschen in absehbarer Zeit heimgehen würden, zumal die Herkunftsländer – Italien, Spanien, Portugal, Türkei – eine Entwicklungsperspektive hatten. Wer heute aus Syrien kommt, darf nicht mit einem raschen Kriegsende rechnen, wird so schnell nicht zurückkehren. Integration ist umso dringlicher.

Eigentlich brauchen wir ein Inte­grationsministerium. Man kann sich nicht vorstellen, dass Thomas de Maizière auch noch ein Integrationskonzept liefern kann. Das Hamsterrad, in dem sich der ausgepowerte Innenminister bewegt, dreht sich schon jetzt irrsinnig schnell. Im Wochentakt neue Gesetze, Verschärfungen, Praxisänderungen. Die Flüchtlinge werden durch ein System von Anträgen, Unterbringung, Registrierung geschleust, bis sie abgeschoben werden müssen.

Die Regierung dreht an vielen Stellschrauben – zugegeben, bisweilen erfolgversprechend. Zum Beispiel ist die Zahl der Flüchtlinge vom Balkan zurückgegangen, seit diese Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft wurden. Es ist sinnvoll, so auch gegenüber nordafrikanischen Staaten vorzugehen. Aber wenn Seehofer und Merkel richtig liegen, wenn die Flüchtlingskrise von Dauer ist, muss man sich fragen, ob das Asylrecht so bleiben darf, wie es ist. Es drängt sich der Verdacht auf, dass all die vielen Maßnahmen Ersatzhandlungen sind. Sie lenken von der Sinnfrage ab: Das Grundrecht auf Asyl ist zu einer anderen Zeit, vor einem anderen historischen Hintergrund und bestimmt nicht für den Fall erdacht worden, dass Hunderttausende Flüchtlinge kommen und Deutschland zum einzigen Sehnsuchtsort in Europa wird. Es kostet viel Zeit und Mühe, Menschen aufzunehmen, um sie hinterher abzuschieben und durch Europa zu verteilen. Es ist ein Irrsinn. Er hat Methode.