Athen. Griechische Regierung steht unter wachsendem politischen und humanitären Druck. Wieder zahlreiche Tote bei Bootsunglück vor Samos

Die Griechen geraten in der Flüchtlingskrise unter immer größeren Druck – und fühlen sich von ihren europäischen Partnern im Stich gelassen.

Fast kein Tag vergeht mehr ohne Flüchtlingsdramen in der Ägäis: In der Nacht zum Donnerstag sind mindestens 24 Menschen ertrunken, als das Boot, mit dem sie von der türkischen Küste aufgebrochen waren, vor der griechischen Insel Samos kenterte. Unter den Opfern sind zehn Kinder. Zehn Menschen konnten gerettet werden. Die Küstenwache suchte am Donnerstag noch weiter nach Vermissten. Erst am Mittwoch waren vor der Insel Kos bei einem ähnlichen Unglück sieben Flüchtlinge ertrunken.

Der wachsende Druck auf die Athener Regierung in der Flüchtlingskrise ist politisch und humanitär. Einerseits steigen die Zahlen der Ankömmlinge auf den Inseln der östlichen Ägäis, die nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste liegen, immer weiter an. Andererseits kommt es auf der Balkanroute, auf der die Schutzsuchenden nach Westeuropa weiterziehen wollen, immer häufiger zu Staus. Und nun droht die EU-Kommission auch noch mit einem Ausschluss aus der Schengen-Zone.

In einem Untersuchungsbericht wirft die Kommission Griechenland „schwerwiegende Mängel“ bei der Grenzsicherung vor. Der Bericht wird nun den Mitgliedsstaaten zugeleitet. Verabschieden sie ihn, wird die Kommission voraussichtlich Anfang Februar der Athener Regierung einen Forderungskatalog übermitteln. Griechenland hat dann maximal drei Monate Zeit, die Mängel abzustellen. Geschieht das nicht, können die anderen Schengen-Staaten für Reisende aus Griechenland wieder Grenzkontrollen einführen.

In griechischen Medien wird die Drohung überwiegend mit Empörung quittiert. „Das Europa der Erpressungen“ titelte am Donnerstag die Zeitung „Efimerida ton Syntakton“. Auch Premierminister Alexis Tsipras verbirgt seine Verärgerung nicht: Gegenseitige Schuldzuweisungen führten zu nichts, erklärte Tsipras. Griechenland werde seine Verpflichtungen erfüllen, aber auch die Partner in der Europäischen Union müssten ihre Zusagen einhal-ten.

In Athener Regierungskreisen bezeichnet man die Kommissionskritik als ungerecht. Erstens stamme der Bericht vom November – seither habe sich vieles verbessert. Bis Anfang März sollen auch die noch im Aufbau befindlichen Hotspots zur Registrierung der Ankömmlinge in Betrieb gehen, verspricht Migrationsminister Ioannis Mouzalas. Die Verzögerungen gingen zum Teil auch auf das Konto der EU, sagt Mouzalas, weil sich die versprochene Verstärkung der Frontex-Grenzschutztruppe und die Lieferung von Geräten zur Abnahme von Fingerabdrücken verspätet hätten. Auch verweist man in Athen darauf, dass von den 160.000 Flüchtlingen, deren Verteilung der Europäische Rat im vergangen September beschlossen hat, erst 414 umgesiedelt wurden, weil die EU-Staaten nicht mitspielen. Außerdem ignoriere die Türkei ihre Zusage, Wirtschaftsflüchtlinge, die über ihr Gebiet nach Griechenland kommen, wieder zurückzunehmen. Nach Angaben von Migrationsminister Mouzalas hat die Türkei seit Jahresbeginn erst 123 Mi­granten zurückgenommen.

Was es in der Praxis bedeuten würde, wenn die EU-Staaten Griechenland aus dem Schengen-Verbund ausschließen, davon bekam man am Mittwoch einen Vorgeschmack: Zehn Stunden lang schloss Mazedonien seine Grenze zu Griechenland. Mehrere Tausend Menschen, darunter Hunderte Kinder, saßen fest. Sie harrten in Reisebussen aus oder suchten etwas Wärme an den Lagerfeuern, die überall loderten. Der Grund für die Grenzschließung: Weiter nördlich hatte Serbien seine Grenze dichtgemacht – das ist der Dominoeffekt, den man in Athen fürchtet. Jeden Tag kommen etwa 3000 bis 4000 Menschen aus der Türkei. Wenn sich die Grenzen schließen, würden sich binnen eines Monats bereits 100.000 Ankömmlinge in Griechenland stauen. Unterbringungsmöglichkeiten gibt es bisher nur für etwa 10.000 Flüchtlinge.