Berlin. Die Nachricht über einen angeblich toten Flüchtling in Berlin schlug hohe Wellen. Warum sind bestimmte Themen so anfällig für Gerüchte?

Am Mittwoch verbreitete sich über soziale Netzwerke im Eiltempo das Gerücht, dass ein Flüchtling vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin gestorben sei. Auch wenn sich die Geschichte später als Erfindung eines Helfers herausstellte, schlug das Thema hohe Wellen. Der Medienwissenschaftler Christoph Neuberger von der Universität München erklärt, warum einige Themen besonders anfällig für die Hysterie im Netz sind.

Ein Facebook-Eintrag eines Helfers hat gereicht, um einen Einsatz der Polizei auszulösen und viele Menschen in Aufregung zu versetzen. Müssen wir uns an solche Falschmeldungen gewöhnen?

Christoph Neuberger: Zumindest befördern Soziale Medien die Verbreitung von ungeprüften Informationen, das ist keine neue Erkenntnis. Bei der Berichterstattung über den vermeintlichen Toten am Lageso habe ich die Beobachtung gemacht, dass einige Nachrichtenseiten die Geschichte zunächst so dargestellt haben, als wäre sie tatsächlich so passiert. Erst in späteren Artikeln klangen dann Zweifel an, bis schließlich die Korrektur der Meldung kam. Er spielte sicherlich auch der Zeit- und Konkurrenzdruck, unter dem Journalisten gerade im Internet stehen, eine entscheidende Rolle. Redaktionen sollten sich hier aber zurückhaltender zeigen. Vor allem bei politischen Themen wie der Flüchtlingskrise.

Die Debatte ist kontrovers, das Klima aufgeheizt. Sind die Zeiten, wie wir sie jetzt erleben, für solche Gerüchte besonders günstig?

Neuberger: In den vergangenen zwei Jahren haben wir eine sehr deutliche Politisierung des Internets und insbesondere der Sozialen Medien erlebt. Schnelle Verbreitung erfährt, was gut ins eigene Weltbild passt. Das wird auch mit dem Begriff der Konsenstheorie beschrieben. Ähnliches geschah bei den Meldungen um einen angeblich Terrorverdächtigen, der bei Köln Chemikalien gekauft hat. Spätestens seit den Terroranschlägen in Paris ist das Bedrohungsempfinden auch hierzulande gestiegen. Ähnlich verhält es sich bei dem Gerücht um den angeblich gestorbenen Flüchtling. Die Nachricht fügte sich gut ins Weltbild vieler Menschen, die solche Meldungen an Gleichgesinnte weiterleiten.

Lassen sich solche Gerüchte in der Gesamtheit überhaupt wieder einfangen?

Neuberger: Tatsächlich ist es sehr viel einfacher Falschinformationen zu verbreiten, als sie richtigzustellen. Das liegt daran, dass der Nachrichtenwert weniger groß ist. Und es zeichnet sich noch eine weitere Entwicklung ab, die gesicherte Information untergräbt: Nach einer Studie stimmen mittlerweile 30 Prozent der Internetnutzer der Aussage zu, dass es ihnen egal ist, aus welcher Quelle sie eine Nachricht bekommen haben. Vorrang hat die Nachricht, nicht die Quelle. Das erhöht natürlich die Gefahr, dass sich Falschmeldungen verbreiten.