Berlin . Offiziell unterstützen die Sozialdemokraten den Flüchtlingskurs der Kanzlerin – doch mancher wünscht sich eine härtere Gangart

Die SPD stützt die CDU-Kanzlerin gegen die CSU. So weit ist es gekommen. In einem Brief an Angela Merkel bestärken 13 junge Bundestagsabgeordnete sie in ihrer Flüchtlingspolitik. Unter anderem heißt es im Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt: „Die aktuellen Herausforderungen lassen sich rein national nicht lösen. Die Durchsetzungskraft, die Deutschland im Rahmen der Eurokrise gezeigt hat, muss auch bei diesem Thema gezeigt werden.“ Seit Monaten läuft der öffentliche Streit zwischen CDU und CSU, zwischen Merkel und dem bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Die Bayern wollen Grenzschließungen und eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen. Seehofer drohte in einem Brief an die Kanzlerin mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Das bringt Thomas Oppermann auf die Palme. „Das Kasperletheater von Herrn Seehofer muss endlich aufhören“, sagte der SPD-Fraktionschef. Zuvor hatte er Seehofers Brief als „Ankündigung des Koalitionsbruchs“ bezeichnet. Rhetorisch ist die große Koalition nicht mehr weit von der letzten schwarz-gelben Koalition entfernt, in der man sich mit Begriffen wie „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“ beharkte.

Doch der Streit überdeckt den Dissens in der SPD: Auch die Sozialdemokraten sind in der Flüchtlingsfrage zerrissen. Viele haben sich innerlich von Merkels Politik entfernt. Das beginnt an der Basis: Nicht wenige SPD-Kommunalpolitiker halten insgeheim Seehofer für den einzigen Realpolitiker der Koalition. In Nord-Essen planten drei SPD-Ortsvereine eine Demonstration gegen mehr Flüchtlingsheime in ihren Stadtteilen. Die Aktion wurde von der NRW-SPD gestoppt. Viele sozialdemokratische Bürgermeister haben große Probleme, Unterkünfte für Flüchtlinge zu finden. Auch in der SPD-Spitze gibt es Politiker, die in vertraulichen Gesprächen für eine härtere Gangart in der Flüchtlingsfrage plädieren.

Das beobachtet auch Jürgen W. Falter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mainz. „Die SPD ist nicht minder zerrissen als die Union“, sagte Falter dieser Zeitung. „Diese Zerrissenheit äußert sich jedes Mal, wenn sich Herr Gabriel auf der einen Seite äußert und Herr Stegner auf der anderen.“ Hier zeige sich sehr deutlich die tiefe Kluft zwischen dem linken und dem rechten Parteiflügel. Falter: Oppermann wolle mit seinen Äußerungen seine Fraktion einen – und gegen die Union aufstellen. „Zugleich lenkt er so von der Zerrissenheit der Sozialdemokraten ab“, analysiert der Wahlforscher.

Ein Sozialdemokrat spricht aus, was manche in der SPD denken: Gerhard Schröder, Bundeskanzler von 1998 bis 2005. „Wir kommen klar mit den Millionen, die da kommen“, sagte Schröder Anfang der Woche. „Aber nicht mit der Schnelligkeit, mit der sie auf die Kommunen einstürzen.“ Er kritisiert sogar seine Nachfolgerin. Diese habe „das ein oder andere falsche Signal“ gesetzt, indem sie eine Ausnahmesituation zum Normalzustand werden ließ. Der Altkanzler: „Wir brauchen einen Befreiungsschlag.“ Er schlägt eine Art Enddatum für die Aufnahme von Flüchtlingen vor: Jeder Flüchtling, der zu einem bestimmten Stichtag in Deutschland ist, dürfe hier bleiben und arbeiten – egal ob sein Verfahren abgeschlossen ist oder nicht. Alle anderen Flüchtlinge sollen in Europa verteilt werden.

Johannes Kahrs, Chef des Seeheimer Kreises in der SPD, findet, dass Schröder in der Sache Recht hat. „Wir müssen die Flüchtlingszahlen 2016 deutlich reduzieren“, sagte Kahrs dieser Zeitung. Er hält jedoch einen guten Schutz der EU-Außengrenzen für sinnvoller als Stichtage oder Obergrenzen. Wenn man ihn fragt, ob er in der Flüchtlingsfrage zwischen Merkel und Seehofer steht, antwortet Kahrs: „Das kann man so sagen.“ Er sieht die SPD als Stimme der Vernunft zwischen zwei Extremen. Offiziell steht die SPD an Merkels Seite, plädiert für Plan A: bessere Integration von Flüchtlingen, mehr Schutz der EU-Außengrenzen, Verteildung der Flüchtlinge innerhalb Europas. Zudem muss Deutschland die Türkei unterstützen und Syrien befrieden, damit nicht mehr Menschen zu uns kommen. Keine Obergrenze, keine Kontingente. So ist die Linie, so sagt es auch Nils Schmid, Finanzminister in Baden-Württemberg und Spitzenkandidat im Ländle. „Alle sind sich einig, dass wir es schaffen müssen, in diesem Jahr die Geschwindigkeit der Zuwanderung von Flüchtlingen zu reduzieren, weil wir sonst eine gute Integration nicht hinkriegen“, sagte Schmid.

Ein Stichtag für die Stimmung in der SPD ist der 13. März. Dann sind drei Landtagswahlen. Ein Sozialdemokrat sagt: „Wenn die SPD in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt schlechter abschneidet als die AfD, haben wir eine ganz andere Debatte.“