Berlin/Moskau. Angebliche Vergewaltigung einer 13-Jährigen schlägt politisch hohe Wellen

Mit Plakaten und Parolen standen die Demonstranten vor dem Kanzleramt in Berlin. Sie riefen: „Schützt die Frauen“ und „Lisa, wir sind mit dir“. Etliche der 700 aufgebrachten Menschen gehören zur Minderheit der Russlanddeutschen. Auch in Süddeutschland gab es Demonstrationen, laut Medienberichten waren auch NPD-Anhänger dabei, die Partei sucht Experten zufolge seit Längerem die Nähe zu den Russlanddeutschen. Grund des Protests: Angeblich sei ein 13 Jahre altes Mädchen in Berlin von Männern 30 Stunden festgehalten und vergewaltigt worden. Der Korrespondent eines russischen Staatssenders machte den Fall öffentlich, Gerüchte verbreiteten sich im Internet. Die Täter: angeblich „Südländer“, möglicherweise Flüchtlinge. Das vermeintliche Opfer gehört zu den Menschen in Deutschland, die aus russischen Familien stammen. Die Demonstranten meinen, die Polizei verschweige die Tat. Und auch die Herkunft der Täter.

Nur: Die Polizei betont, dass bisher unklar sei, ob das Mädchen überhaupt vergewaltigt wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei Männer. Es gebe den Verdacht, dass es vor dem Verschwinden des Mädchens zu einvernehmlichen Sexualkontakten gekommen sei, sagte ein Justizsprecher. „Was in der fraglichen Zeit passiert ist, konnten wir bislang aber nicht klären“, sagte er. Auch ein sexueller Missbrauch stehe allerdings noch im Raum.

Doch längst bekommt der Fall eine heikle politische Dimension. Russlands Außenminister stimmte in den Kanon der Protestler ein: „Ich denke, dass hier die Wahrheit und die Gerechtigkeit siegen sollen. Ich hoffe, dass diese Migrationsprobleme nicht zum Versuch führen, die Wirklichkeit aus irgendwelchen innenpolitischen Gründen politisch korrekt zu übermalen, das wäre falsch“, sagte Sergej Lawrow in Moskau. Nach Angaben des Anwalts des vermeintlich vergewaltigten Mädchens hat Russland den Fall sogar unter „konsularische Kontrolle“ genommen.

Deutschland als Land dargestellt, das kurz vor dem Zusammenbruch steht

In den russischen Medien wurde der Fall aufgebauscht. Das Mädchen sei von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden, behauptete etwa die Nachrichtensendung „Westi“. Obwohl die Fakten zu dem Fall bisher unklar sind. Russische Experten überrascht dieser Fall nicht. „Lawrow hatte früher, in seiner Zeit als UN-Botschafter, den Ruf eines sehr professionellen Diplomaten. Aber seit er Außenminister ist, macht er keine Außenpolitik mehr“, sagte der Politologe Viktor Kremenjuk von der Indem-Stiftung in Moskau.

Spätestens seit den Übergriffen von Köln wird Deutschland in russischen Medien als Land kurz vor dem Zusammenbruch dargestellt. „Die Ereignisse von Köln haben die Gesellschaft gespalten“, heißt es beim TV-Sender Rossija24. Die propagandistische Botschaft der vom Kreml gesteuerten Medien: Europa ist schwach, ein unsicherer Ort, überrannt von Fremden. Verglichen damit soll Russland unter Putin glänzend erscheinen – auch wenn der Rubel abstürzt und die Einkommen sinken. Vor allem die großen TV-Sender beeinflussen nicht nur das Publikum in Russland. Sie werden auch von vielen der etwa 2,3 Millionen Menschen in Deutschland gesehen, deren Wurzeln in der früheren Sowjetunion liegen. Einige Beiträge wirken, als sollten sie eine Pogromstimmung unter den Russlanddeutschen schüren. Die Berichterstattung der großen Medien in Russland ist Kreml-treu.

Weder das Auswärtige Amt in Berlin noch die deutsche Botschaft in Moskau wollten sich zu den Vorwürfen Lawrows äußern. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) hob hervor, Staatsanwaltschaft und Polizei würden „absolut gewissenhaft“ ermitteln, sagte Henkel dem Hamburger Abendblatt.