Berlin.

Es sind kurze, unmissverständliche Sätze. „Noch mehr Reduzierung geht nicht. Bundeswehr nach Kassenlage geht nicht.“ Und: „Die Truppe ist es leid. Es fehlt zu viel.“ Das Fazit: Die Bundeswehr sei „am Limit“.

Das alles sagt Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Bundestages, bei der Vorstellung seines Jahresberichts in der Bundespressekonferenz in Berlin. Der Sozialdemokrat kommt aus Kiel, und wie so viele Hanseaten gehört er nicht zu den Menschen, die gern übertreiben. Sein Wort hat Gewicht.

Bartels Aufgabe: Er ist der Anwalt der Soldaten. Die kommen zu ihm und erzählen, was nicht rund läuft. Der Wehrbeauftragte ist zudem viel unterwegs, besucht Kasernen, reist zu den Soldaten in den Auslandseinsätzen. In den Jahresbericht hat er auf 101 Seiten aufgeschrieben, was bei der Bundeswehr stimmt. Und was nicht stimmt. Es ist eine ganze Menge.

Bartels, seit Mai 2015 Wehrbeauftragter und zuvor Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, sieht die Bundeswehr „am Wendepunkt“. Vor allem an drei Stellen macht er massive Probleme aus: beim Personal, bei der Rüstung und bei der Infrastruktur. „In allen drei Bereichen bedarf es deutlicher Verbesserungen“, schreibt Bartels.

Am Ende des Kalten Krieges gab es fast 600.000 Bundeswehrsoldaten. Heute sind es 177.000 Männer und Frauen. Bartels: „Kleiner war die Bundeswehr nie.“ Gleichzeitig kommen immer mehr Aufgaben auf die Bundeswehr zu. Der Jahresbericht beginnt mit den Worten: „Wir leben in unruhigen Zeiten.“ Bartels meint damit die sicherheitspolitische Lage: Deutschland wird wieder mehr Soldaten ins Ausland schicken, 2016 könnten es bis zu 5000 sein. Ende 2015 wurden etwa die Erweiterung der Mission in Mali und die Aufklärungsflüge der Tornados auf dem Gebiet des „Islamischen Staates“ (IS) in Syrien und im Irak beschlossen. In naher Zukunft könnten deutsche Soldaten libysche Streitkräfte in Tunesien ausbilden. Außerdem helfen die Soldaten im Inland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Bis zu 7500 Männer und Frauen waren in der Spitze am Tag im Einsatz. Bartels fordert mindestens 185.000 Soldaten, besser wären mehr.

Schimmel und undichte Dächer in Bundeswehr-Unterkünften

Hinzu kommt: „Die dienstlichen Belastungen innerhalb der Bundeswehr sind ungleich verteilt“, schreibt Bartels. Viele Soldaten beklagen außerdem eine „zunehmende Überregulierung und Bürokratisierung ihres Arbeitsalltags“. Es liegt also auch an den alles andere als optimalen Strukturen. Die haben zum Teil auch mit einer Ad-hoc-Aktion aus der Zeit von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zu tun: der Aussetzung der Wehrpflicht. „Die Konzepte sind hinterher gemacht worden – zum Teil ist man jetzt noch dabei“, kritisiert der Wehrbeauftragte.

Besser sieht es beim Material auch nicht aus – und das reicht von so profanen Dingen wie Kampfstiefel bis zu so komplexen Geräten wie einem Kampfflugzeug. Bartels spricht von einer „planmäßigen Mangelwirtschaft“ und von „existenziellen Ausrüstungslücken“. Und das drückt auf die Stimmung der Truppe. „Wenn gerade wieder nur zwei von 20 Hubschraubern klar sind, dann leidet die Motivation.“

Der Jahresbericht ist voll mit Materialmängeln. Ein paar Beispiele: Von 114 Eurofightern sind 40 Prozent zur Aufrüstung bei der Industrie. Weil Ersatzteile fehlten, waren von 93 Tornados nur 29 einsatzbereit. Der Luftwaffe stehen bisher nur drei moderne Transportflugzeuge vom Typ A400M zur Verfügung – deshalb muss auf die überalterte Transall, die in den 60er-Jahren konzipiert wurde, zurückgegriffen werden. Doch von 50 Transall waren auch nur 21 flugbereit.

Und auch bei der Infrastruktur beschreibt Bartels „massive Mängel“: „Diese reichen von Schimmelbefall in Unterkünften und in Sanitäreinrichtungen über undichte Dächer bis hin zu Brandschutzversäumnisse.“ Es gibt zwar ein Sanierungsprogramm, aber das ist laut Bartels zu klein und wird zudem nicht schnell genug umgesetzt. So sind von rund 3000 Unterkunftsgebäuden nur etwa 170 WLAN-fähig. „Weder zeitgemäß noch attraktiv“, so das Urteil des Wehrbeauftragten.

Das alles heißt auch: Die Bundeswehr braucht mehr Geld. Das verschweigt Bartels natürlich nicht: „2016 kann und sollte für die über Gebühr geschrumpfte Bundeswehr personell, materiell und finanziell das Wendejahr werden.“

Von der Leyen will 130 Milliarden Euro bis 2030 in Rüstung stecken

Bartels harte Worte klingen wie eine Kritik an Ursula von der Leyen (CDU), Verteidigungsministerin seit Dezember 2013. Doch eigentlich hilft er ihr – auch wenn das zunächst widersprüchlich klingt: Die Chefin der Bundeswehr will eine modernere, effizientere, bessere Truppe. Sie beginnt mit der Rüstung: Dafür will sie 130 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 in die Hand nehmen, wie es aus Regierungskreisen heißt. Das macht im Schnitt knapp neun Milliarden Euro pro Jahr.

Aktuell sind im Finanzplan knapp fünf Milliarden Euro für Rüstung vorgesehen. „Das wird nicht reichen“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Es geht der Führungsspitze im Bendlerblock um einen allmählichen Anstieg des Materialetats – und das dieses Niveau konstant gehalten wird.

Immer mehr Sparen – davon will die Bundeswehr jetzt also wegkommen. Denn auch in der Regierung wird nicht verschwiegen, dass die Truppe einen erheblichen Modernisierungsbedarf hat. Fehler aus der jüngeren Vergangenheit sollen zudem abgestellt werden: Von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) hatte eine Obergrenze für die Beschaffung großer Waffensysteme eingezogen – die soll jetzt wegfallen. Dieses Konzept sah etwa vor, dass die Panzertruppe nur mit 70 Prozent des benötigten Geräts ausgerüstet wird.

Am Mittwoch wird von der Leyen ihre Pläne dem Verteidigungsausschuss vorstellen. Und im Frühjahr will die Ministerin ihre Ideen für den Bereich Personal vorlegen. Wahrscheinlich wird sie eine Aufstockung der Truppe vorschlagen. Unklar ist, was Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) von diesen Plänen hält. Die Sätze aus dem Verteidigungsministerium sind jedenfalls ebenso unmissverständlich wie die von Bartels. „Diese Verwaltung des Mangels muss beendet werden“, heißt es aus dem Bendlerblock. Dann soll auch endlich die Transall eingemottet werden.