Kairo.

Der Millionenjubel auf dem Tahrir-Platz vor fünf Jahren zog am Ende den ganzen Globus in seinen Bann. Das Volk am Nil hatte den modernen Pharao besiegt, mit geradezu übermenschlicher Anstrengung das Joch der Diktatur abgeschüttelt. Tunesien war das erste schwere Beben, Ägypten dann der politische Vulkanausbruch im Zentrum der arabischen Welt.

Endlich, so schien es, waren die arabischen Völker aufgewacht, jagten ihre Despoten davon und pusteten ihre muffigen Staatsgebilde durch. Arabischer Frühling – so hieß bald die euphorische Chiffre für die neuen Hoffnungsprojekte im Nahen und Mittleren Osten, für den scheinbar endlich bewältigten Quantensprung der islamisch-arabischen Kernregion hin zu Modernität, Pluralität und Demokratie.

Fünf Jahre später herrscht eiskalter Winter. Alle Blütenträume sind verwelkt, die altbekannte, erstickende Ohnmacht ist zurückgekehrt. Die Menschen auf den Straßen wirken stumm und verängstigt. Mit ihren politischen Sehnsüchten haben sie sich wieder zurückgezogen in die virtuelle Welt von Twitter und Facebook. Der ägyptische Cyberheld von damals, der Google-Manager Wael Ghonim, dessen Facebook-Seite den Aufstand gegen Hosni Mubarak auslöste, kämpft heute vor Gericht gegen seine Ausbürgerung wegen Staatsfeindlichkeit.

„Ich war bei der Januarrevolution dabei“, heißt das trotzige Twitter-Bekenntnis, mit dem sich dieser Tage Zehntausende junge Ägypter gegen Resignation und Verzweiflung stemmen. „Trotz der Monster – ich habe das Utopia auf dem Tahrir-Platz miterlebt, ich werde das niemals vergessen“, schrieb einer. „Seid stolz darauf, an dem ägyptischen Traum beteiligt gewesen zu sein“, twitterte ein anderer. Denn viel ist nicht mehr übrig von der Hoffnung auf ein freieres, sozialeres und gerechteres Ägypten. Der alte Mubarak-Apparat aus Militär, Polizei und Justiz hält seine im Frühjahr 2011 verlorene Macht wieder fest in der Hand. Nach dem vom Militär erzwungenen Sturz von Mohammed Mursi im Juli 2013 ist mit Abdel Fattah al-Sisi auch der Präsident wieder – wie gewohnt – ein Ex-General. Die Polizei, deren drakonischer Missbrauch vor fünf Jahren den Volkszorn zum Überkochen brachte, wütet schlimmer als zuvor. Mehr als 40.000 Menschen sind als politische Gefangene hinter Gittern, gut 150 Menschen spurlos verschwunden. Und während das Regime hartnäckig leugnet, in seinen Verließen würde gefoltert und vergewaltigt, dringen täglich neue Horrorgeschichten nach draußen.

Denn die Machthaber fürchten nichts mehr als neue Demonstrationen. Kairo wimmelte am Wochenende von Polizisten und Soldaten. Auf dem Tahrir-Platz fuhren demonstrativ Panzer auf. Alle Krankenhäuser wurden in Alarmbereitschaft versetzt. 5000 Wohnungen wurden in den letzten Tagen in Kairo durchsucht. Dutzende Aktivisten, Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte verhaftet, darunter vier führende Mitglieder der Demokratiebewegung 6. April, die maßgeblich zum Sturz Mubaraks beitrug und heute verboten ist.

In einer selbst für ägyptische Verhältnisse einzigartigen Kommandoaktion schloss die Staatssicherheit sogar die bekannte Townhouse-Galerie im Herzen der Hauptstadt, Treffpunkt junger Künstler, und durchsuchte den Merit-Verlag, dessen Besitzer Mohammed Hashem Ägypten schon einmal vor zwei Jahren verlassen wollte, weil er die Nase voll hatte von dem „politischen Terrorismus“ in seiner Heimat. Die meisten einheimischen NGOs, aber auch deutsche politische Stiftungen dürfen am Nil nicht mehr arbeiten. Vor wenigen Tagen brach auch die liberale Naumann-Stiftung ihre Zelte ab. „Wenn heute jedes politische Seminar, jede Konferenz, die wir mit ägyptischen Partnern ausrichten, als mögliche Bedrohung der inneren Sicherheit Ägyptens missverstanden wird, so entzieht das unserer Arbeit die Grundlage“, begründete Vorstandschef Wolfgang Gerhardt diesen spektakulären Schritt.

Regimenahe TV-Talkmaster wie der berüchtigte Ahmed Moussa dagegen drohen allen Aktivisten und aufmüpfigen Mitbürgern, sollten sie am 25. Januar zum Jahrestag der Massenbewegung auf die Straße gehen, würden sie entweder im Gefängnis oder im Grab landen. „Warum höre ich Rufe nach einer weiteren Revolution“, polterte Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi. „Warum wollt ihr Ägypten ruinieren? Ich bin durch euren Willen an die Macht gekommen und nicht gegen euren Willen“, rief er aus.

Und so stehen fast alle arabischen Völker mittlerweile nur noch vor der unglücklichen Alternative, sich, wie in Ägypten, entweder mit einem hyperautoritären Polizeistaat abzufinden oder, wie in Libyen, Syrien und Jemen, den Zerfall der eigenen maroden Nation mit ansehen zu müssen.

„Der Arabische Frühling war ein historischer Moment, vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer“, urteilte Michael Ayari von der International Crisis Group – nur mit anderem Ausgang. „Noch haben wird keine klare Deutung. Im Augenblick aber scheint alles bergab zu geben – ein Prozess, der Jahrzehnte dauern wird.“