London/Hamburg. Der Untersuchungsbericht offenbart spektakuläre neue Details. Hat der mutmaßliche Killer Kowtun das Polonium in Hamburg erhalten?

Es ist ein Krimi, wie ihn bestenfalls John le Carré, Dan Brown oder John Grisham hätten erfinden können. Doch der Tod des ehemaligen russischen Geheimagenten Alexander Litwinenko in London durch eine Vergiftung mit dem radioaktiven Polonium 210 ist bittere Realität. Es ist ein unfassbares Polit-Stück der hässlichen Diplomatie, denn die Ermordung Litwinenkos hat die Beziehungen zwischen Großbritannien und Russland erheblich belastet. Und, wie jetzt bekannt wurde, spielt ein entscheidender Akt des Dramas um Spione, Rache, Wladimir Putin und russische Oligarchen in Hamburg.

Der Tatverdächtige Dmitri Kowtun war kurz vor der Ermordung Litwinenkos im November 2006 in Hamburg und besuchte seine Ex-Frau. Dabei hinterließ er Spuren des tödlichen Giftes Polonium auch in der Stadt. Soweit bekannt.

Doch in dem Untersuchungsbericht werden jetzt Zeugenaussagen bekannt, die mehrere sensationelle Details offenlegen: So soll der Koch, der Litwinenko das Polonium vermeintlich unterjubeln sollte, in Hamburg in einem Restaurant am Hafen gearbeitet haben. Außerdem soll der Tatverdächtige Kowtun gegenüber Zeugen in Hamburg gesagt haben, Litwinenko müsse beseitigt werden, weil er Verbindungen zu Tschetschenen habe. Und er, Kowtun, werde das tun.

So berichtete das Abendblatt über Polonium in Hamburg

Nach dem britischen Bericht ist der russische Präsident Wladimir Putin wahrscheinlich in den Giftmord an dem Kreml-Kritiker und Ex-KGB-Agenten Litwinenko verwickelt. Putin, der auch 2006 Präsident war, habe vermutlich den Einsatz des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB gebilligt, bei dem Litwinenko in seinem Exil in London vergiftet wurde, hieß es in dem Bericht. Putin und die russische Regierung hätten Motive für einen Mord gehabt. "Es bestand ohne Zweifel eine persönliche Dimension in der Feindschaft zwischen Litwinenko einerseits und Präsident Putin andererseits", erklärte Richter Robert Owen in seinem Bericht.

Ex-Agent Litwinenko starb an einer Tasse Tee

Laut Bericht vergifteten die russischen Agenten Andrej Lugowoj und Dmitri Kowtun den 43-jährigen Litwinenko mit Polonium 210. Litwinenko starb qualvoll, nachdem er bei einem Treffen mit den beiden Agenten in einem Hotel in London eine Tasse Tee getrunken hatte, die mit dem hoch radioaktiven Stoff versetzt war.

Litwinenkos Witwe Marina mit dem Untersuchungsbericht
Litwinenkos Witwe Marina mit dem Untersuchungsbericht © Getty Images | Carl Court

Litwinenko hatte Putin und der Regierung geheime Absprachen mit der organisierten Kriminalität vorgeworfen. Sechs Jahre vor seinem Tod floh er aus Russland. Noch auf dem Sterbebett beschuldigte er Putin, hinter dem Giftanschlag zu stecken. Litwinenko floh auch deshalb nach London, weil er als Agent beauftragt worden sein soll, den Oligarchen Boris Beresowski zu ermorden. Das habe er verweigert. Er hatte auch recherchiert, nachdem die kremlkritische Journalistin Anna Politkowskaja vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen worden war.

Putin wehrt sich gegen Mord-Vorwürfe

Russland hat eine Beteiligung an dem Litwinenko-Mord stets zurückgewiesen. "Wir bedauern, dass ein reiner Kriminalfall politisiert wird", sagte eine Sprecherin des Außenministeriums. Auch der beschuldigte Lugowoj verwahrte sich gegen die Vorwürfe. "Die Anschuldigungen, die gegen mich vorgebracht wurden, sind absurd", sagte er der Nachrichtenagentur Interfax. Die Ermittlungsergebnisse seien ein weiterer Beweis für die antirussische Haltung der britischen Regierung.

Die britische Innenministerin Theresa May bezeichnete die Ermittlungsergebnisse als sehr beunruhigend. "Das war ein unverhohlener und inakzeptabler Bruch der meisten Grundsätze des Völkerrechtes und ein Verstoß gegen zivilisiertes Verhalten." Konten im Zusammenhang mit dem Fall würden eingefroren. Zudem wurde der russische Botschafter einbestellt.

So bewegte sich der vermeintliche Killer in Hamburg

In dem Bericht geht es um den anonymisierten Zeugen D3. Die deutsche Polizei habe ihm nicht geglaubt, die britische schon. D3 habe entscheidende Hinweise gegeben. Kowtun und sein Freund, Zeuge D3, hätten sich in Hamburg im Restaurant Tarantella getroffen. Beide hätten früher als Kellner in einem Restaurant am Hafen gearbeitet. Vom Tarantella seien sie zum Steindamm gefahren. Ein weiterer Mann sei zwischenzeitlich dabei gewesen.

Alexander Litwinenko (r.) und ein Agentenkollege mit Maske 1998
Alexander Litwinenko (r.) und ein Agentenkollege mit Maske 1998 © dpa | epa Sergei Kaptilkin

Spuren von Polonium waren damals in der Wohnung von Kowtuns Ex-Frau, ihrer Mutter, im Auto und in der Wohnung von D3 gefunden worden, wo Kowtun eine Nacht verbrachte. Im Flugzeug der Germanwings, mit dem Kowtun aus Moskau nach Hamburg kam, fanden die Experten keine radioaktiven Spuren. Kam das Polonium also in Hamburg in Kowtuns Hände?

Welche Rolle spielte der Koch aus Hamburg?

Zeuge D3 sagte laut Untersuchungsbericht, Kowtun habe ihm gesagt, er werde Litwinenko mit einem gefährlichen und teuren Gift ermorden. Ob D3 nicht einen Koch in England kenne, der dem geflohenen Agenten das Polonium untermischen könne. D3 sagte, er kenne einen Hamburger Koch, der nach England gegangen sei, wisse aber nichts über dessen Verbleib. Es wäre doch einfacher, Litwinenko zu erschießen, soll D3 zu Kowtun im Scherz gesagt haben. Denn offenbar nahm er ihn nicht ernst.

Kowtun besorgte sich die Nummer des Kochs und hat ihn später von London aus kontaktiert. Aber der unter Mordverdacht stehende Kowtun hat bestritten, etwas mit der Ermordung Litwinenkos zu tun gehabt zu haben. Er sei nur zu einem Fußballspiel in London gewesen. Und der Hamburger Zeuge D3 habe an dem fraglichen Abend unter dem Einfluss seines Heroinkonsums gestanden.

Drei Jahre nach dem Strahlentod Litwinenkos hatte die Hamburger Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Kowtun eingestellt. Aus Mangel an Beweisen.

Abendblatt-Interview mit dem Mordverdächtigen Dmitri Kowtun