Nauen.

Sigmar Gabriel gibt sich mitten in der Flüchtlingskrise so kämpferisch wie besorgt: „Wir müssen dafür sorgen, dass das Land beieinanderbleibt“, mahnte der SPD-Chef am Sonntagmittag zum Auftakt einer SPD-Vorstandsklausur im brandenburgischen Nauen. Dann teilte er gegen die Union aus: Statt jeden Tag eine neue Idee durchs Land zu schicken, müsse einfach mal gehalten werden, „was wir versprochen haben“.

Es sind neue, schärfere Töne, mit denen Gabriel die SPD in ein schwieriges Jahr mit gleich fünf Landtagswahlen führen will: Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Kampf gegen rechts, wirtschaftliche Modernisierung – der Vorsitzende lässt bei der Klausur ein Feuerwerk an inhaltlichen Kursbestimmungen abbrennen, Konflikte mit dem Koalitionspartner sind einkalkuliert.

Mit der Offensive von Nauen will die SPD nicht nur das Startsignal für die Wahlkämpfe geben, sie will auch verhindern, dass die Genossen zum Jahresanfang gleich wieder in depressive Nabelschau verfallen. Grund hätten sie: Bei den Landtagswahlen am 13. März in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt droht der SPD ein Debakel, wie führende Genossen inzwischen zugeben.

Spätestens, seit der Einzug der rechtspopulistischen AfD in die drei Landtage absehbar ist, gilt die Abwahl von Rot-Grün in Rheinland-Pfalz als kaum abwendbar: Nach 25 Jahren als Regierungspartei müsste die SPD die Staatskanzlei in Mainz räumen. In Baden-Württemberg wäre es schon ein großer Erfolg, wenn die SPD Juniorpartner der Grünen bleiben könnte, doch ist das keinesfalls sicher. Und in Sachsen-Anhalt wird sich die SPD bestenfalls erneut als kleiner Partner der CDU wiederfinden.

Die Flüchtlingskrise bringt die Partei zusätzlich in Bedrängnis: Gleich zu Beginn der Klausur lassen sich die Genossen von Experten erklären, wie sich die Stimmung in der Bevölkerung inzwischen gedreht hat. Eine Mehrheit sieht den Kurs von Angela Merkel (CDU) mit Skepsis. Gabriel und die SPD-Spitze gehen auf Distanz zur Kanzlerin und setzen sie unter Druck: Wenn die europäische Lösung zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen scheitert, ist auch die SPD wohl für Grenzschließungen, auch wenn sie die Konsequenz vorerst nicht so benennt.

Gabriel will seine Partei als Anwalt besorgter Bürger positionieren. Dazu gehört etwa die Forderung, mit Milliardeninvestitionen in Bildung und Wohnungsbau zu verhindern, dass Einheimische und Flüchtlinge um Kitaplätze, Schulversorgung oder Mietwohnungen konkurrieren. Und dazu gehört auch eine harte Linie gegen kriminelle Ausländer, eine Linie, die Gabriel persönlich vorgegeben hatte.

Der Parteivorsitzende stemmt sich mit den Ansagen auch gegen eine drohende Krise im eigenen Job: Nach einem schwarzen Wahlsonntag im März könnte sich die Stimmung gegen den Vorsitzenden drehen. Gabriel ist nach seinem schlechten Ergebnis bei der Wiederwahl auf dem Parteitag im Dezember noch geschwächt, er steht unter Beobachtung. Die Klausur in Nauen soll eigentlich belegen, dass das Debakel schon vergessen ist.

Manche Genossen hatten sich erhofft, Gabriel werde dazu auf die Kritiker aus dem linken Flügel wenn nicht inhaltlich, dann doch atmosphärisch zugehen. Doch eine öffentliche Friedenspfeife wird nicht angezündet. Nach Gabriels Bericht zur politischen Ausgangslage, der geprägt ist von der Flüchtlingskrise, gibt es vereinzelt auch kritische Stimmen. Aber Teilnehmer berichten von einer guten, sachlichen Atmosphäre. Die Schicksalswahlen im März sorgen für Disziplin: „Es gibt keinen Kuschelkurs, aber wir arbeiten vernünftig zusammen“, heißt es. Vom neuen „Vertrauen in Nauen“ ist die Rede. Und, sagt ein Spitzenmann: „Wenn man in der SPD ist, muss man auch mal streiten können – sonst muss man in die CDU gehen.“ Das klingt wie eine Vorhersage.

Harte Debatten über den Kurs der Partei stehen bevor

Der Partei stehen harte Debatten bevor. Gabriel will seinen umstrittenen Mittekurs fortsetzen und beruft sich darauf, dass ihn eine Dreiviertelmehrheit des Parteitags mit seiner erneuten Wahl zum Parteichef inhaltlich unterstützt hat. Das wird den linken SPD-Flügel kaum ruhen lassen. Jusos-Chefin Johanna Uekermann, eine der härtesten Gegnerinnen Gabriels, warnt: „Die SPD ist eine sehr diskussionsfreudige Partei. Bastapolitik passt da nicht rein.“

Das ganze Jahr über wird die Partei das Wahlprogramm erarbeiten, zentrale Punkte sollen in einer Mitgliederbefragung entschieden werden. Ob die SPD ihr Steuererhöhungsprogramm für Besserverdiener entsorgt, wie es Gabriel gegen den Widerstand der Parteilinken fordert, ist offen. Auf der Klausur versucht Gabriel wirtschaftsfreundliche Akzente zu setzen: „Nur wenn das Land wirtschaftlich erfolgreich bleibt, können wir die Integrationsleistung für die Flüchtlinge erbringen.“