Teheran. Der Iran ist nicht mehr isoliert, aber das Atomabkommen setzt Präsident Rohani unter Druck. Er muss den Fortschritt liefern, auf den die Menschen setzen

Es war nach Mitternacht im Iran. Die meisten Iraner hatten schon geschlafen, als das Atomabkommen in Wien besiegelt wurde. Umso glücklicher waren sie, als sie dann am nächsten Morgen in den Nachrichten das offizielle Ende des Atomstreits mitbekamen. Besonders die Aufhebung der Sanktionen sorgte für Freude. „Das iranische Volk hat in dieser Zeit sehr viel Geduld gezeigt“, sagte Präsident Hassan Rohani. Wegen des Atomstreits und der damit verbundenen Sanktionen war die ölreiche Nation in eine Wirtschaftskrise geraten. Besonders der wichtige Ölexport war eingeschränkt.

Auch für die nicht gerade von Erfolg verwöhnte internationale Nahostdiplomatie war der nächtliche Auftritt in Wien eine historische Zäsur. „Iran hat heute seine Verpflichtungen erfüllt – die internationalen und nationalen, wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen gegen Irans Atomprogramm werden aufgehoben“, erklärten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Teherans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif, flankiert von seinem US-Amtskollegen John Kerry. Nur das UN-Waffenembargo bleibt weitere fünf Jahre gültig, das Embargo für Raketenteile acht Jahre. Die Menschen mussten fast zehn Jahre lang den Gürtel enger schnallen. Nun hoffen sie auf eine bessere Zukunft.

„Wenn Rohani tut, was er verspricht, wird alles besser“, sagt eine 48-jährige Hausfrau in Teheran nach der Entscheidung. Der hat versprochen, dass er die wirtschaftlichen Perspektiven nach den Sanktionen für ein besseres Leben der Iraner nutzen wird. „Hoffen wir es, versprochen wurde ja bis jetzt viel“, sagt der Bauarbeiter Rahim. Das Land setzt nach dem Ende der Sanktionen in erster Linie darauf, wieder mehr Öl und Gas zu verkaufen. Mindestens 100 Milliarden Dollar aus iranischen Öleinnahmen sind derzeit noch im Ausland blockiert, die demnächst freigegeben werden. Mehr als eintausend Kreditbriefe liegen bereits fertig ausgestellt bei den Banken, die aktiviert werden können, sobald die Islamische Republik wieder an das internationale Finanzsystem angeschlossen ist. Schon am Tag nach der Aufhebung der Sanktionen gab die US-Regierung 1,3 Milliarden Dollar an die Regierung in Teheran frei.

Allerdings wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Am Sonntag verhängten die USA neue Sanktionen gegen den Iran – in diesem Fall wegen des ballistischen Raketenprogramms Teherans. Die Sanktionen richten sich gegen elf Unternehmen und Einzelpersonen. Der Iran hatte kürzlich Raketentests durchgeführt und damit gegen eine UN-Resolution zur Begrenzung der Entwicklung nuklearfähiger Raketen verstoßen. Auch in der Bundespolitik wird vor übertriebenen Hoffnungen gewarnt. „Das Nuklearabkommen hat noch keinen neuen Iran gemacht“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), dem Abendblatt. „Die größte Hoffnung auf eine Veränderung im Laufe der Zeit geht von den vielen, gut ausgebildeten jungen Iranern aus.“ Sie bräuchten wirtschaftliche Perspektiven und seien die ideologische Bevormundung leid, so Röttgen.

Vor allem Israel warnt vor aggressiver Regionalpolitik des Landes

Skepsis gibt es auch anderswo. Vor allem Israel und die Republikaner in den USA üben Kritik an dem Abkommen. „Der Iran hat seine Bestrebungen nicht aufgegeben, eine Atomwaffe zu bauen“, hieß es in der israelischen Regierung. Teheran habe nun mehr Mittel, die es zur Verbreitung von Terrorismus und für aggressive Regionalpolitik ausgeben könne. Dennoch werden in der iranischen Politik neue Zeiten erwartet. Die gute Stimmung im Land könnte den Reformern um Rohani zu einem Sieg bei den Parlamentswahlen im nächsten Monat verhelfen. Dies wäre das vorläufige Ende der Hardliner, die seit zwölf Jahren das Parlament dominieren. Mit einem Sieg der Reformer und der Wiederwahl Rohanis wären sie bis 2021 weg von der politischen Szene. Für diese liberale Politik brauche Rohani auch die Hilfe des Westens, sonst würden ihn wieder die Hardliner überrennen, warnen Beobachter. Aber auch mit Rohani ist der Iran noch weit davon entfernt, ein idealer Partner für den Westen zu werden. Die Regierung in Teheran will Israel weiter nicht anerkennen, Menschenrechte im Iran bleiben ein kontroverses Thema.

Persönlich ist das Abkommen bereits ein Erfolg für vier Amerikaner mit iranischen Wurzeln, darunter der Korrespondent der „Washington Post“, Jason Rezaian. Sie waren seit Jahren wegen Spionage im Iran inhaftiert. Im Austausch ließ die US-Regierung sieben gefangene Iraner frei.

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