Berlin .

In der Reaktion auf die Kölner Übergriffe gegen Frauen wird der Ruf nach strengeren Gesetzen laut, generell nach einer härteren Gangart der Polizei. Härte ist nicht mehr ein Monopol der CDU. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte gegenüber dem Abendblatt, überführte Täter schneller zu bestrafen, „dazu gehören auch ausländerrechtliche Konsequenzen“. Ermittlungsbehörden und Polizei müssten so ausgestattet werden, dass sie „effektiv arbeiten können“. Um Gewaltexzesse wie in Köln zu verhindern, müsse auch die Prävention gestärkt werden. Göring-Eckardt wird sich damit abfinden müssen, dass viele Konsequenzen für die Kölner Täter zu spät kommen würden. Bei der Rechtsprechung gilt die Gesetzeslage zur Zeit der Tat. Anders bei Ausweisungen: Da kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung an. Erst zum 1. Januar wurde das Aufenthaltsrecht verschärft, im August des vergangenen Jahres war die Abschiebehaft eingeführt worden. Sie wurde seither kein einziges Mal angewandt. Welche Schwerter sind stumpf, welche scharf? Ein Faktencheck.


Videoüberwachung
ist ein Klassiker – und längst Standard an Bahnhöfen wie in Köln. Soll abschrecken. Falls nicht? Würde sie bei der Beweisführung helfen. Das ist auch das Argument für Body-Cams, die Polizisten in Hamburg und in Frankfurt versuchsweise tragen.


Mehr Polizeipräsenz, eine weitere CDU-Forderung, wäre Erfolg versprechender. Der Personaleinsatz hängt in der Praxis allerdings von der Lagebeurteilung vor Ort ab. Köln hatte doppelt so viele Bereitschaftspolizisten wie im Vorjahr erhalten und das Angebot drei weiterer Züge nicht angenommen. Die Polizei war arglos.


Schleierfahndung
(verdachtsunabhängige Kontrollen von Personen) zur Gefahrenprävention hätte vielleicht geholfen, erst recht, wenn sich die Vermutung von Justizminister Heiko Maas (SPD) bewahrheiten sollte, dass die Täter sich verabredet hatten.


Strafen „auf dem Fuße
“ (O-Ton aus der Mainzer Erklärung der CDU) zu fordern, hat eher Appellcharakter. Die Gerichte können schon heute beschleunigte Verfahren ansetzen. Die Justiz ist unabhängig, die Politik hat wenig Einfluss.


Ein Strafbestand gegen Übergriffe auf Polizisten, Feuerwehr, Rettungsdienste
wäre für die Betroffenen wichtig, schon wegen der symbolischen Wertschätzung. Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist längst strafbar. Die CDU zielt ab auf unvermittelte Attacken auf Polizeibeamte im täglichen Dienst, ohne Bezug zur konkreten Einsatzhandlung. Die SPD ist skeptisch, hält es für ein stumpfes Schwert.


Mehr Abschiebungen
wollen viele Parteien. Zuständig wären die Länder. In der Praxis gibt es viele Hürden: Steht die Identität zweifelsfrei fest? Verweigert das Herkunftsland die Aufnahme? Man darf nicht in Staaten abschieben, in denen die Todesstrafe gilt oder Bürgerkrieg herrscht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung durfte man sie bisher nicht mal in einen sicheren Drittstaat wie Griechenland zurückführen, weil dort gewisse Mindeststandards missachtet werden. Und auch ein ärztliches Attest kann eine Abschiebung verhindern.


1000 Rückführungen pro Tag
– darauf liefe es hinaus, wenn die Polizei mit den Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Schritt halten sollte. Im Dezember entschied das BAMF über 2000 Fälle pro Tag, erfahrungsgemäß zur Hälfte negativ. Folge: Die Länder müssten alsbald theoretisch jeden Tag bis zu 1000 abgelehnte Asylbewerber abschieben. Aus Berlin kommt Hilfe, genauer: aus Potsdam, wo die Bundespolizei sitzt.

Sie führt einen Großteil der Rückführungen mit dem Flugzeug durch. Im Regelfall werden die Menschen gruppenweise abgeschoben. Für solche Sammelrückführungen, die aus etwa 250 Personen bestehen, werden Flugzeuge gechartert. Zur Begleitung auf einem Flug werden „gut und gern 30 Beamte eingesetzt“, erzählt der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek. Daran kann man ablesen, wie groß der Aufwand wäre, um täglich 1000 Asylbewerber abzuschieben. Es wäre möglich. Aber dafür müsste die Polizei mehr Personal mobilisieren, entweder mit neuen Stellen oder Prioritäten, also dem Abzug von Beamten von anderen Aufgabenbetreichen.


Straffällig gewordene Asylbewerber und Flüchtlinge
abzuschieben, soll derweil rechtlich erleichtert werden. Man muss dabei allerdings Asyl- und Aufenthaltsrecht sorgfältig auseinanderhalten. Asylbewerber verlieren bisher ihren Anspruch erst, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung verurteilt worden sind. Die Latte soll abgesenkt werden, nach den CDU-Plänen jeder abgelehnt werden, der zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, auch unter Bewährung. Insgesamt will die CDU „die Hürden für die Ausweisung und Abschiebung straffällig gewordener Ausländer absenken“. Das Aufenthaltsrecht wurde zum 1. Januar verschärft. Nun muss ein Ausländer schon bei einer Strafe von einem Jahr gehen.


Frauen besser gegen Gewalt schützen,
das hat für alle Parteien Priorität. Gewalt spielt sich am häufigsten im häuslichen und privaten Umfeld ab. Laut einer Studie der EU hat jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben schwere sexualisierte Gewalt erfahren. Selten kommt es zu Verurteilungen. Frauenberatungen zählten von 2001 bis 2012 jährlich 8000 Vergewaltigungen in Deutschland – doch nur gegen 1300 Männer wurde Anklage erhoben. Die meisten Verfahren wurden eingestellt.


Härtere Strafen
waren bisher schwer durchzusetzen. Denn: In Deutschland reicht laut Strafrecht ein „Nein“ oder ein „Ich will nicht“ von Frau oder Mann zum Sex nicht aus. Bislang wird ein Vergewaltiger nur dann bestraft, wenn das Opfer geschlagen, an Leib und Leben bedroht wurde – oder sich in einer „schutzlosen“ Lage befand, wie es im Paragraf 177 des Strafgesetzbuches heißt.

Fügen sich Opfer und halten still, kann die Tat nicht immer bestraft werden. Frauenverbände beklagen, dass das deutsche Gesetz an der Realität vorbeigehe. Auch in Köln zeigte sich: Wer sexuell belästigt wird, steht oft unter Schock und kann sich so nicht wehren.

Seit Monaten arbeiten Bund und Länder an einer Verschärfung des Gesetzes. In einem Entwurf des Justizministers sollen künftig sexuelle Handlungen strafbar sein, wenn Betroffenen „aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustandes oder der überraschenden Begehungsweise zum Widerstand unfähig sind“ oder sie im Fall eines Widerstandes einen „empfindlichen Nachteil befürchten“.
Der Griff zwischen die Beine in einer überfüllten U-Bahn oder das Grapschen in der Menschenmenge, wie offenbar in Köln geschehen, wäre damit strafbar. Und doch bleiben Lücken. Hört und übergeht der Täter ein klares „Nein“ der Betroffenen, reicht das auch nach der Reform nicht für eine Strafbarkeit aus.


Der Istanbuler Konvention
wird Deutschland aber nicht gerecht. „Ein Nein muss ein Nein sein“, sagt Göring-Eckardt. Und genau das ist auch Maßgabe dieser europaweiten Vereinbarung zum Schutz vor sexueller Gewalt. Der Gesetzentwurf des Justizministers wird ihr nach Ansicht der Grünen nicht gerecht. Göring-Eckardt pocht deshalb darauf, das Sexualstrafrecht weiter zu verschärfen. Das sei dringend erforderlich. „Die brutale Gewalt in der Silvesternacht in Köln und anderswo darf sich nicht wiederholen.“

Ob der Gesetzentwurf erweitert wird, ist noch unklar. Aber nun drängt mit der CDU auch die Partei von Kanzlerin Angela Merkel auf eine Ratifizierung der Istanbuler Konvention und fordert: „Für den Straftatbestand muss ein klares ‚Nein‘ des Opfers ausreichen, auch wenn nicht zugleich der Tatbestand der Gewalt oder Nötigung vorliegt.“