Berlin. Vizepräsidentin des Bundestages rechnet vor – die CSU rechnet nach

Der Vergleich gehört zur Politik wie das Bierzelt zum Oktoberfest. Man kann damit Kleinigkeiten zu Katastrophen aufbauschen oder Ungeheuerliches zum Normalfall schrumpfen. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth, sonst die Empathie in Person, überraschte nun Freund wie Feind mit einem ganz besonderen Brückenschlag: Sie verglich in der „Welt“ die massenhaften Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof mit dem Alltag auf Volksfesten. „Aber so zu tun, als wären die Vorfälle aus der Silvesternacht die ersten Ausbrüche sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft, ist falsch“, dozierte die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. „Es gibt auch im Karneval oder auf dem Oktoberfest immer wieder sexualisierte Gewalt gegen Frauen.“ Zuvor hatte die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), die Übergriffe mit Gewalt auf dem Oktoberfest verglichen.

Es dauerte nicht lange, da hatte die CSU einmal nachgerechnet: „Beim Oktoberfest wurden bei knapp sechs Millionen Besuchern in zweieinhalb Wochen 20 Anzeigen wegen Sexualdelikten aufgenommen“, betonte der innenpolitische Sprecher der CSU, Florian Herrmann. „Neben einer versuchten Vergewaltigung wurden hier noch Delikte wie Missbrauch von Widerstandsunfähigen, sexuelle Nötigung, exhibitionistische Handlungen und Beleidigung auf sexueller Basis aufgenommen.“ In Köln summiert sich die Zahl der Anzeigen aus der Silvesternacht inzwischen auf 170, bei drei Vierteln davon gaben die Opfer an, sexuell bedrängt worden zu sein. Inzwischen ist laut WDR sogar ein Zettel mit arabisch-deutschen Übersetzungen von sexistischen Begriffen sichergestellt worden.

Aber vielleicht hat die Bayerin Roth gar nicht die Sexattacken auf Frauen relativieren wollen, vielleicht ging es ihr eher um das Oktoberfest: Die Wiesn, an dem sie früher selbst gern im knallbunten Dirndl teilnahm, bezeichnete sie schon im Februar als „offene Drogenszene mit sechs Millionen Menschen, die sich betrinken“. Folgerichtig forderte die Vizepräsidentin des Bundestages die Freigabe weicher Drogen. Zwar ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich – aber jedes Zitat mit dem Oktoberfest garantiert maximale Öffentlichkeit. Und vermag, eine persönliche Schmach zu lindern: 2014 hatte München Claudia Roth nicht mehr zum Eröffnungssamstag eingeladen. Auch die persönliche Intervention der grünen Fraktionschefin im Landtag beim Oberbürgermeister änderte daran nichts. Ein Skandal ohnegleichen.