Berlin.

„Nah bei de Leut“ will sie sein und immer natürlich wirken. Julia Klöckner löffelt Kartoffelsuppe, während sie ihr Integrationskonzept vorstellt, und sie verwendet Formulierungen, die sich die meisten Politiker verkneifen würden.

Hamburger Abendblatt: Frau Klöckner, in neun Wochen stellt sich heraus, ob Sie den Sprung von der CDU-Hoffnungsträgerin zur Ministerpräsidentin schaffen. Wie haben Sie dieses entscheidende Jahr begonnen?

Julia Klöckner: Sehr entspannt, zusammen mit Familie und Freunden. Das tat gut. Jetzt gehe ich konzentriert in das neue Jahr, das in der Welt hoffentlich friedlicher wird als das alte.

In der Silvesternacht hat es Übergriffe auf Frauen in Köln und anderen deutschen Städten gegeben. Justizminister Maas spricht von einer „neuen Dimension organisierter Kriminalität“. Trifft es das?

Klöckner: Ich weiß nicht, wie organisiert das war. Die Ermittlungen laufen. Eine neue Dimension ist es aber in jedem Fall: Ein Mob, eine Horde von Männern hat Frauen in Köln als Freiwild betrachtet und ist über sie hergefallen, als seien wir nicht in einem zivilisierten Land. Und die Polizei hat die Kontrolle verloren. Auch die Reaktion war ungewöhnlich: Der Aufschrei der rot-grünen Feministinnenriege ist dieses Mal leider ausgeblieben.

Wie soll mit den – nach Augenzeugenberichten ausländischen – Tätern verfahren werden? Haben sie ihr Aufenthaltsrecht verwirkt?

Klöckner: Recht und Gesetz müssen angewandt werden – unabhängig von der Herkunft. Die Straftaten verlangen nach einer harten Antwort des Rechtsstaats. Ich bin der Meinung, dass Straftaten künftig stärkere Auswirkungen auf die Asylverfahren haben sollten. Asylberechtigte, Flüchtlinge und alle Personen, die sich im Asylverfahren befinden, sollten künftig bereits dann von der Asylberechtigung beziehungsweise der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen sein, wenn sie rechtskräftig wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden. Über diese Frage werden wir jetzt auch bei der CDU-Vorstandsklausur in Mainz reden.

Die Vorfälle in der Silvesternacht haben weltweit Schlagzeilen gemacht. Die „New York Times“ sieht eine Herausforderung für die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel.

Klöckner: Da müssen wir differenzieren: Die Täter aus der Silvesternacht waren nicht alle Flüchtlinge. Da waren wohl auch Banden europäischer Staatsbürger unterwegs. Entscheidend ist für mich aber etwas anderes: Männer mit muslimischem, arabischem Hintergrund haben häufig ein anderes Frauenverständnis als wir. Daher brauchen wir eine Integrationspolitik, die diesen Namen auch verdient. Das geht nicht mit Multikulti-Larifari. Um Männer, die aus Macho-Ländern kommen, müssen wir uns besonders kümmern. Sie müssen kapieren, dass Deutschland ein aufgeklärtes Land ist, in dem Frauen und Männer gleichberechtigt, gleich viel wert sind.

Was ist für Sie ein Macho-Land? Syrien? Die Türkei? Italien?

Klöckner: Stimmt, das ist erklärungsbedürftig. Ich spreche von Männern, die ein sehr männlich-dominiertes Umfeld gewohnt sind. Von Männern, die aus einem patriarchalischen System kommen, in dem Frauen weniger wert sind und nur dann als ehrbar gelten, wenn sie sich verhüllen.

Sie meinen arabische Staaten.

Klöckner: Pauschal kann man das nicht sagen, höchstens tendenziell. Entscheidend ist immer das Verhalten des Einzelnen. Männer, die Frauen für unrein halten und ihnen daher die Hand nicht geben wollen, sind nicht automatisch gewaltbereit. Aber das Denkmuster ist problematisch, dass Frauen nicht die gleichen Freiheiten und Rechte hätten. Schlichtere Gemüter glauben dann, sobald sie westlich gekleidete Frauen sehen, sie abschätzig behandeln zu können, und das kann dann für wieder andere die Vorstufe von Gewalt sein. Darüber müssen wir reden.

SPD-Chef Gabriel wirft Ihnen vor, eine „schlimme Strategie“ zu verfolgen. Mit der Skandalisierung von Flüchtlingsthemen betrieben Sie das Geschäft der rechtspopulistischen AfD.

Klöckner: Wer Frauenrechte thematisiert, fischt doch nicht am rechten Rand, sondern benennt die Probleme. Ich bleibe bei meiner Forderung, die Vollverschleierung in Deutschland zu verbieten. Was die AfD wirklich stärkt, ist die rot-grüne Moralkeule. Jeder, der eine andere Meinung vertritt, sei angeblich rechtspopulistisch. Dieser Automatismus ist doch absurd. Gabriel beschimpft mit seiner Bemerkung viele Bürger in der Mitte der Gesellschaft. Vielleicht liegt es auch einfach am Gemütszustand der SPD, an der Angst, die Macht in Rheinland-Pfalz zu verlieren.

Ist die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz?

Klöckner: Das müssen erst mal die Verfassungsschützer beurteilen, nicht Politiker. Ich finde es grundsätzlich hochproblematisch, wenn politische Parteien die Sicherheitsbehörden gegen andere Parteien in Stellung bringen wollen, wie es die SPD hier versucht. Wir haben Gewaltenteilung. Zweifellos ist das Gedankengut der AfD gefährlich, teilweise auch rassistisch und inakzeptabel. Sie hetzt die Bürger auf mit populistischen Parolen, ist aber nicht bemüht um Lösungskonzepte. Die Aufgabe von uns Politikern ist es, die AfD argumentativ zu stellen und zu demaskieren.

Die SPD-Politikerin Nahles, die wie Sie in Rheinland-Pfalz zu Hause ist, hat in ihrer Abiturzeitung als Berufswunsch genannt: „Hausfrau oder Kanzlerin“. Was haben Sie damals angegeben?

Klöckner: Gymnasiallehrerin. Aber ich habe nach meinem Lehramtsstudium dann eine Ausbildung als Journalistin gemacht und als Chefredakteurin gearbeitet. Es kann nicht schaden, auch etwas anderes im Leben als Politik zu können.

Irritiert es Sie, dass Sie als Kanzlerkandidatin der Zukunft gehandelt werden?

Klöckner: Irritiert ist man dann, wenn man sich beirren lässt. Ich bin gelassen, weil ich weiß, mein Platz ist in Rheinland-Pfalz. Neun Jahre lang war ich Bundestagsabgeordnete in Berlin, seit fünf Jahren konzentriere ich mich auf meine Heimat. Hier möchte ich Ministerpräsidentin werden.