Berlin .

Eine Spur der Attentäter von Paris führt nach Deutschland – die Spur der Pässe. Sie lenkt den Fokus auf ein Risiko des Flüchtlingszustroms: Terroristen könnten sich unter die Neuankömmlinge mischen. Die Frage nach den Dokumenten ist letztlich auch die Frage nach dem Kontrollverlust der staatlichen Behörden.


Um welche Spuren geht es genau?

Laut „Bild“ ist ein Dutzend syrischer Flüchtlinge untergetaucht, die Pässe aus derselben Fälscherwerkstatt besitzen wie zwei Pariser Attentäter der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS).

Wie kam es zu dem Verdacht?

Bei den Leichen der Attentäter von Paris fand man Dokumente, die aus einem Bestand von 2000 Pässen stammen. Man kennt ihre Nummern und weiß, dass sie dem IS in die Hände fielen. Die gesuchten Flüchtlinge haben Papiere aus demselben Bestand und sind wie die Attentäter über die griechische Insel Leros in die EU eingereist. Die Menschen wurden registriert und ihre Pässe kopiert. In der Ausnahmesituation wurden ihnen allerdings keine Fingerabdrücke abgenommen. Heute kann man weder zweifelsfrei ihre Identität noch ihren Aufenthaltsort ermitteln. Man weiß nicht, ob ein bestimmtes Dokument von einer offiziellen Behörde ausgestellt und ob es wirklich vom rechtmäßigen Inhaber mitgeführt wurde.

Die Leute müssen nicht mehr in Deutschland sein. Sie können harmlos, aber genauso gut mit Terrorauftrag unterwegs sein oder zu Schläferzellen gehören, die zu einem späteren Zeitpunkt zuschlagen sollen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte: „Ein Anfangsverdacht, dass es sich da um weitere Leute, die auch vom IS geschickt worden sind, handeln könnte, der liegt natürlich nahe; er muss zumindest aufgeklärt werden.“


Seit wann kennen die Behörden
die Risiken?

Schon im März dieses Jahres bestätigte das Bundeskriminalamt (BKA), dass dem IS im ostsyrischen Rakka – damals waren es 3800 – syrische Blanko-Reisepässe in die Hände gefallen seien. Es waren gestohlene Originalpässe, die mit Foto und Unterschrift versehen quasi „echt“ werden. Zumal syrische Pässe nicht besonders anspruchsvoll in Sachen Fälschungssicherheit sind. Sie enthalten keine biometrischen Merkmale wie etwa ein Iris- oder Fingerabdruck.
Weiß man, wie viele „echte falsche“
Pässe der IS besitzt?

Die Terroristen haben in Syrien, Irak und in Libyen in vielen Städten die offiziellen Behörden übernommen, Passämter, Druckmaschinen. Sie könnten Zehntausende Dokumente hergestellt, Terroristen mit falschen Identitäten versehen beziehungsweise die Papiere verkauft haben.

Wie stark ist der Kontrollverlust
der Behörden?
Noch im September schätzte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass 290.000 Flüchtlinge nach Deutschland eingereist, aber nicht förmlich registriert wurden, weil die Behörden überlastet waren oder weil die Menschen vorgaben, weiterzureisen, etwa nach Skandinavien. Da Sozialleistungen erst mit der Registrierung fällig werden, hat man vermutlich angenommen, dass sie schon aus Eigennutz ihre Registrierung nachholen würden. Ein Trugschluss. Dazu kommen die Menschen, die illegal einreisen, die sich weder melden noch aufgegriffen werden.


Ist jeder ein Terrorist, der mit
solchen Dokumenten unterwegs?

Mit den Pässen wird ein blühender Handel getrieben, auch und gerade vom IS. In der ersten Septemberwoche berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk, dass der deutsche Zoll Pakete mit echten und gefälschten Pässen aus Syrien beschlagnahmt hat. Sie waren plötzlich Gold wert und wurden für Preise von 1500 bis 2000 Dollar gehandelt, nachdem Ende August das Dublin-Verfahren für Flüchtlinge aus Syrien ausgesetzt wurde. Mit falschen Pässen konnte sich jeder Armutsflüchtling als Syrer ausgeben und einreisen.

Schon im Spätsommer roch Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Lunte, weil sich die Berichte über „falsche Syrer“ häuften. Richtig alarmiert sind die Behörden aber erst nach dem Anschlag von Paris. Denn plötzlich geht es nicht allein um Betrug, sondern um Terror.


Kann es sein, dass der IS
eine Leimspur legt?

Auch dieser Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen. Erstaunlich war jedenfalls schon, dass bei den Attentätern überhaupt Papiere gefunden worden sind, dass die Dokumente in auffällig gutem Zustand waren und dass sich die Terroristen mehrfach als Flüchtlinge registrieren ließen – als hätten sie es darauf angelegt. Wenn es der Sinn von Terror ist, Panik und Hysterie zu erzeugen, dann liegt es im Interesse des IS, die Angst vor den Flüchtlingen zu schüren, bis jeder von ihnen wie ein Sicherheitsrisiko betrachtet wird. Ganz unabhängig davon zeigt der IS, wozu er fähig ist. Die perfide Botschaft: Jeder der Flüchtlinge kann einer von uns sein. Wie viele Kämpfer die Terrororganisation tatsächlich mit falscher Identität nach Europa geschickt hat, ist völlig unklar.