Berlin. Die nationalkonservative Regierung will Rechte des Verfassungsgerichts einschränken. Sorgen in Berlin. Walesa warnt vor der Gefahr eines Bürgerkriegs

In der Bundesregierung macht man sich Sorgen um Polen. „Was sich derzeit in Warschau abspielt, bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen“, zitiert „Spiegel Online“ ein namentlich nicht genanntes Kabinettsmitglied. Der Versuch der nationalkonservativen Regierung Polens, Einfluss auf Justiz und Presse zu nehmen, erinnere an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban.

Die polnische Regierung will unter anderem das Gesetz über das Verfassungsgericht ändern. Kritiker sehen darin einen Versuch, dessen Rechte zu beschneiden. Darüber hinaus soll die Direktorenwahl bei den öffentlich-rechtlichen Medien künftig stärker von der Regierung beeinflusst werden. Polens einstiger Präsident und Nobelpreisträger Lech Walesa sprach sogar von der Gefahr eines Bürgerkrieges.

Seit die rechtspopulistische, in Teilen offen nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im November die Regierungsgeschäfte in Warschau übernommen hat, hat sich die Lage drastisch verschärft. Parteichef Jaroslaw Kaczynski sagt: „Wir müssen Polen neu gestalten, und es muss eine große Umgestaltung sein.“

Vor Weihnachten gingen in Warschau Zehntausende auf die Straße, um wahlweise für die „nationale Revolution“ der PiS oder gegen die „Demontage der Demokratie“ und eine „Turbo-Orbanisierung“ im Land zu demons-trieren. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hatte nach seiner Wahl 2010 erst das Verfassungsgericht entmachtet und anschließend die Verfassung geändert – im Sinne einer halbautoritären, „illiberalen Demokratie“.

Mit der EU liegt Orban im Dauerstreit. In Polen steht Ähnliches zu befürchten. Die frisch gewählte PiS-Ministerpräsidentin Beata Szydlo ließ demonstrativ alle Europafahnen aus ihrem Pressesaal entfernen. Parallel dazu kündigte Kulturminister Piotr Glinski an, die Staatsmedien in „nationale Kulturinstitute“ umzuwandeln, und leitete eine personelle Säuberungswelle in den Redaktionen ein. Vor allem aber weigerte sich PiS-Präsident Andrzej Duda, fünf Verfassungsrichter zu vereidigen, die noch vom alten, liberalkonservativ dominierten Parlament gewählt worden waren.

Duda ist ein enger Vertrauter von Parteichef Jaroslaw Kaczynski, der im Hintergrund alle Fäden der PiS-Politik zieht. Kaczynski sagt: „Das Verfassungsgericht ist ein parteiisches Organ. Das werden wir ändern.“ Der Volkswille manifestiere sich im Parlament. „Hier ist Polen!“, lautet Kaczynskis Losung. Beobachter deuten diese Sätze als Agenda, das Verfassungsgericht, dessen Aufgabe es ist, auch Minderheitenrechte zu verteidigen, unter Hinweis auf einen Mehrheitswillen vollständig zu entmachten – ganz im Stile Orbans.

Spätestens hier kommt die EU ins Spiel. Denn der ideologische Kern des Systemumbaus in Polen ist eine Renationalisierung, wie sie in Europa vielerorts zu beobachten ist, vom EU-skeptischen Dänemark über das mit dem „Brexit“ liebäugelnde Großbritannien bis hin zum französischen Front National. Im Osten des Kontinents hat spätestens die Flüchtlingskrise ans Tageslicht gebracht, welch enorme Breitenwirkung der Nationalismus dort hat.

Es ist kein Zufall, dass Linkspopulisten wie der tschechische Präsident Milos Zeman und der slowakische Premier Robert Fico in ihren Parolen mit Kaczynski und Orban wetteifern. Fico sagt: „Ich will nicht eines Morgens in einer Slowakei mit Hunderttausend Arabern aufwachen.“ Kaczynski warnte im Wahlkampf davor, dass Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten „gefährliche Parasiten und Bakterien“ nach Europa einschleppen könnten.

Die Entwicklung im Wirtschaftswunderland Polen zeigt, wie schnell aus einer aggressiven Minderheit eine politische Mehrheit werden kann. Noch im Frühjahr schien die ökonomisch erfolgreiche Regierung der Tusk-Partei PO fest im Sattel zu sitzen. Doch dann schlug die Stimmung um. Experten wie der Stettiner Soziologe Waldemar Urbanik erklären dies vor allem mit einem diffusen Gefühl des Zukurzgekommenseins. „Mehr als zehn Jahre nach dem EU-Beitritt verdienen sie im Durchschnitt noch immer nur ein Viertel dessen, was die Menschen in Westeuropa bekommen.“ Neid und Wut mischten sich mit einem „modischen Patriotismus“.