Madrid/Berlin.

In der spanischen Politik bricht eine neue Ära an. Jahrzehntelang haben mal die Konservativen (PP), mal die Sozialisten (PSOE) die Regierung gebildet – meist im Bündnis mit kleinen Regionalparteien. Doch bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag ist alles anders. Wenn die Meinungsumfragen nicht völlig danebenliegen, werden zwei neue Parteien sehr gut abschneiden und den Ministerpräsidenten mitbestimmen. Die Tage des konservativen Regierungschefs Mariano Rajoy – so scheint es – sind gezählt.

Die beiden frischen Gruppierungen wettern mit Erfolg gegen Filz und Korruption der beiden Altparteien. Sowohl die Konservativen als auch die Sozialisten waren in der Vergangenheit in Finanzskandale verstrickt. Beide neuen Parteien haben junge, charismatische Führungspersönlichkeiten. Ciudadanos (Bürger) ist eine bürgerlich-liberale Gruppierung. Sie setzt sich für mehr Wettbewerbsfähigkeit in der Wirtschaft und bessere Bildung ein – programmatisch eine Art sozialliberal ausgerichtete FDP. An der Spitze steht der 36-jährige Albert Rivera, ein smarter Jurist und glänzender Redner.

Das Gesicht von Podemos (Wir können) ist der 37-jährige Politologe Pablo Iglesias. Der Parteichef sympathisiert offen mit der griechischen Linkspartei Syriza.

Nach den letzten Umfragen kommen Ciudadanos und Podemos auf jeweils 18 bis 19 Prozent. Sie sind damit die Königsmacher in der spanischen Politik – ohne sie läuft nichts. Die Konservativen verlieren ihre absolute Mehrheit an Sitzen und landen bei 25 bis 27 Prozent. Die Sozialisten mit ihrem 43-jährigen Vorsitzenden Pedro Sánchez erreichen 20 bis 21 Prozent. Die neue Vielfalt der Parteienlandschaft hat allerdings eine Kehrseite: Die Regierungsbildung nach der Wahl dürfte sich sehr schwierig gestalten. Nach den Umfragen könnte eine Allianz zwischen der konservativen Partei von Ministerpräsident Rajoy und den konservativ-liberalen Ciudadanos auf eine ausreichende Mehrheit kommen, aber Ciudadanos-Chef Rivera kündigte schon an: „Wir werden Rajoy nicht zum Regierungschef wählen.“ Eine große Koalition von Konservativen und Sozialisten scheint ausgeschlossen zu sein. Beim kürzlichen TV-Duell ging der Sozialistenchef Sánchez Rajoy derart rabiat an, dass das Tischtuch zerschnitten ist. Eine Anti-Rajoy-Koalition von Sozialisten, Ciudadanos und Podemos nach dem Vorbild der Linksallianz in Portugal wäre theoretisch möglich, ist aber sehr unwahrscheinlich. Auch eine Minderheitsregierung von Sozialisten und Podemos, die von Ciudadanos toleriert wird, ist auf dem Papier denkbar. Käme diese jedoch nicht sehr realistische Option, würde das unter Rajoy durchgedrückte Reform- und Sparprogramm wohl zurückgedreht.

Rajoy hatte dem von der Finanzkrise schwer getroffenen Spanien eine harte Remedur verordnet. Einschneidende Kürzungen in der Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik brachten das Volk gegen ihn auf. Und sorgten für die Geburt der mächtigen Protestparteien Podemos und Ciudadanos.